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KommentarKinnock kommt

■ Der Wegbereiter von New Labour soll die EU reformieren

Da kann sich Europa auf was gefaßt machen. Der Ruf der EU-Kommission ist ruiniert, die Reformbedürftigkeit des Brüsseler Ladens ist unübersehbar, das öffentliche Interesse am Europaparlament gering wie nie. Kurz: Die EU steht ungefähr so benommen da wie die britische Labour-Partei, nachdem Margaret Thatcher sie k. o. geschlagen hatte. Und das ganz ohne Zutun einer Margaret Thatcher.

Da kann nur einer helfen, dachte sich Prodi und ernannte Neil Kinnock zum Superkommissar für Saustallausmisten. Als Chef der britischen Labour-Partei von 1983 bis 1992 entsorgte Kinnock die alte Partei auf den Müllhaufen der Geschichte. Trotzkisten, die damals haufenweise die Partei unsicher machten, flogen raus. Wild gewordene Ortsvereine wurden an die Kandare genommen. Unerhörte Dinge beglückten die britische Öffentlichkeit, zum Beispiel professionelle Wahlwerbung. Als die sozialistische Rose nur noch rosa war statt rot, gab es einen Aufstand. Es war der Beginn des Reformprozesses, der schließlich zu New Labour führte.

Aus Sicht New Labours ist die EU genauso ein Sauhaufen wie Old Labour. Blairs Triumphgeheul nach Kinnocks Ernennung durch seinen Freund Romano Prodi war unüberhörbar. Jetzt geht's also los, sagte er sinngemäß: Die Briten sind im Anmarsch. Jetzt darf Kinnock seinen berühmten Satz von den fetten Bürokraten wiederholen, „die in Taxis herumflitzen und Kündigungsschreiben verteilen“. 1985 schäumte er damit über die trotzkistische Labour-Stadtverwaltung von Liverpool, als die aus Protest gegen Thatcher den Steuerboykott ausrief und pleite ging. Er trieb damit die Partei fast in die Spaltung. Heute dürfte der Satz einigen von ihren Reisekostenabrechnungen überzeugten Europaparlamentariern bekannt vorkommen.

Aber man soll nicht übertreiben. In neun Jahren schaffte es Kinnock nicht, eine Wahl zu gewinnen. Nach der zweiten Niederlage schmiß er hin. Er nahm zwar die alte Labour-Partei auseinander, vergaß aber, eine neue zu bauen. Dafür brauchte es Tony Blair, der denn auch endlich den Posten ganz oben bekam.

Wenn Kinnock nun mit der EU genauso umgeht? Vorwärts, Tony! In neun Jahren hat der walisische Wüterich Brüssel leer geräumt. Und dann winkt ein Spitzenjob. Dominic Johnson

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