Kommentar: Toter Kronprinz, guter Kronprinz
■ Warum uns der Tod von Kennedy jr. bewegt
Ja, selbstverständlich gibt es Wichtigeres als den toten Kennedy. Kriege, Hunger, Ungerechtigkeit und vor allem die neue Parkordnung vor unserer Haustür. Aber nicht einmal die kann es, was ihren Erregungswert angeht, mit dem Unglückspiloten aufnehmen. Die Gefühlsgeschichte um den neuen Dead Kennedy ist ein kleines Lehrstück darüber, welche Mythen im Untergrund unserer so rationalen, modernen Demokratien wuchern.
„Öcalan ist das kurdische Volk, und das kurdische Volk ist Öcalan“, so beschworneulich die stalinistische PKK die fiktive Identität von „Volks“-Körper und „Führer“-Körper, und wir Aufgeklärten rümpfen die Nase über diesen Ringelpiez in Neandertal. Aber die Unterschiede zur Kennedy-Story sind nur graduell, der Plot ist derselbe. In den US-Medien wird die mythologische Gleichsetzung von Kennedy-Familie und Nation produziert: Die Kennedys sind Amerika, Amerika ist Kennedy. „Er war einer von uns, er war wie wir“, säuseln die Medien ununterbrochen ihre zentrale Botschaft. Keine Sendung, die ohne den Verweis auf seine angebliche Natürlichkeit, Leutseligkeit und Bescheidenheit auskommt. Er war die Wiedergeburt seines Vaters, nur eigentlich noch besser. Für einen die ganze Nation beglückenden Moment wird die durch den gewaltsamen Tod von John F. Kennedy sen. zerbrochene fiktive Erbdynastie aus den 60ern wiederhergestellt.
In einem Land, das selbst nie feudalistische Zustände kannte, dockt sich ein erstaunliches Maß an monarchistischen Sehnsüchten an den verunglückten Kennedy an. Es sind verleugnete Sehnsüchte, nicht zufällig zeigen sie sich in dem Augenblick, in dem ihr Repräsentant abhanden kommt: Nur ein toter König ist ein guter König. Was der wohl eher durchschnittliche Herrenmagazinchef John F. Kennedy jr. im Leben nie sein wollte, ein „Kronprinz“, dazu wird er nun gemacht. Angeblich, so ein Gerücht, erwog er eine Kandidatur für den Senatorenposten in New York. Andere wissen, daß er von der Mafia oder von Terroristen ermordet wurde. Auch dieser Plot ist so alt wie die Bibel: Die Mächte der Finsternis besiegen die Guten. Kennedy ist geopfert worden, weil wir nicht energisch genug das Böse bekämpft haben, Kennedy hat sich geopfert, weil er uns erlösen wollte von unseren Sünden. Der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Amen. Ute Scheub
Bericht Seite 4
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