Kommentar: Schlimmer als Mitch
■ Der Euro stabilisiert sich – droht nun eine Dollar-Krise?
Anfang Juli war der Euro noch 1,03 US-Dollar wert – etwa 15 Prozent weniger als bei seinem Start. Nun erholt sich die kränkelnde Währung, und der US-Dollar wird spiegelbildlich schwächer. Erleichterungsseufzer sind aus den Chefetagen der Zentralbanken von Euroland zu hören. Jene Ökonomen, die aus der kurzzeitigen Euro-Schwäche auf die Unsinnigkeit des Projekts Währungsunion schließen, haben sich wieder einmal blamiert.
Täglich werden mehr als 1.300 Milliarden US-Dollar weltweit gehandelt. Weniger als 5 Prozent dienen der Finanzierung von Handelsgeschäften oder Investitionen, der gesamte Rest ist pure Spekulation. Devisenhändler verdienen, indem sie Zinsdifferenzen ausnutzen oder erwartete Veränderungen der Wechselkurse vorwegnehmen. Nun hat aber beides miteinander zu tun. Wenn die US-Zentralbank die Zinsen erhöht, ist dies einerseits ein Anreiz, Kapital in den USA anzulegen. Doch da infolge steigender Zinsen die Aktienkurse unter Druck geraten, wird Kapital möglicherweise auf Märkte mit günstigeren Prognosen ausweichen. Obendrein kann die Zinserhöhung als Indiz verstanden werden, daß der Dollarkurs zu hoch liegt und das riesige Leistungsbilanzdefizit der USA nur noch durch Import von Kapital finanziert werden kann, dem der Anreiz hoher Zinsen geboten wird. Alles Zeichen für eine bevorstehende Dollarschwäche. Die Spekulanten handeln dann genau so, daß sich die „Prophezeiung selbst erfüllt“.
Die Euro-Hausse fußt nicht auf günstigeren Konjunkturaussichten für Euroland. Es ist vielmehr die Korrektur der Dollar-Überbewertung, die den Euro derzeit stark macht. Darin liegt eine Gefahr. Denn wenn die Spekulanten befürchten müssen, daß das 200-Milliarden-Dollar Defizit in der Leistungsbilanz der USA nicht mehr ohne Inflation finanziert werden kann, wird eine unkontrollierbare Rutschpartie des Dollars möglich.
Eine Finanzkrise in den USA könnte schlimmere Zerstörungen anrichten als ein Jahrhundert-Hurrikan wie Mitch. Deshalb ist der Euro-Anstieg nicht nur Grund zum Aufatmen. Die Finanzkrisen in Asien, Rußland, Lateinamerika haben gezeigt, daß die Finanzmärkte nicht weiter dereguliert, sondern rereguliert werden müssen, um die Wechselkurse zu stabilisieren. Diese Botschaft ist noch nicht angekommen. Elmar Altvater
Professor für Politikwissenschaften in Berlin
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