Kommentar: Der stille Bürgerkrieg
■ Amokläufe und Anschläge in den USA
„Wenn wir die Waffen nicht aus dem Verkehr ziehen, wird die Gewalt weitergehen“, kommentierte der US-Regisseur Steven Spielberg den jüngsten Amoklauf des Neonazis Buford Furrow in einem jüdischen Gemeindezentrum bei Los Angeles. Gewaltfilme hingegen, befand Spielberg, „machen nur jene gewalttätig, die innerlich schon am Abgrund stehen.“ Die Waffen sind's, nein, die Kulturindustrie ist schuld – zwischen diesen beiden Positionen geht die öffentliche Diskussion in den USA ständig hin und her, und wie bei einer zerkratzten Platte werden die ewig gleichen Argumente wiederholt.
Gemeinsam ist den Massenmorden der letzten Zeit, dass sie von auffällig unauffälligen Einzelpersonen an öffentlichen Plätzen begangen wurden – in Schulen, Gemeindezentren, Bürogebäuden. Es ist, als wenn das isolierte Individuum für seinen Zorn keine andere Ausdrucksform und keinen anderen Resonanzboden mehr wüsste als den in der Öffentlichkeit begangenen Mord. Als sollten möglichst viele für die Vereinsamung, die Verzweiflung, die Orientierungslosigkeit des Einzelnen büßen. Die Gewaltausbrüche sind so häufig, dass sie wie die Symptome einer endemischen Krankheit wirken.
Ihren Ursprung hat diese Gewalt in Besonderheiten der US-Kultur, zu denen die im Lande zirkulierenden Millionen Waffen gehören und die ideologischen Dogmen, mit denen ihre Allgegenwart gerechtfertigt wird. Die USA befinden sich in einem stillen Bürgerkrieg. Erklärt hat ihn die Christliche Rechte – Leute wie Pat Buchanan, der auch dieses Jahr wieder Präsidentschaftskandidat der Republikaner werden will, auf deren Parteitag er 1992 zu einem „Kulturkrieg um Amerikas Seele“ aufrief. In Anschlägen wie denen von Los Angeles enthüllt sich eine messianische Kreuzzugsmentalität, die durch die Jahrtausendwende besonderen endzeitlichen Drive bekommt und aus einem explosiven Gemisch aus Nationalismus und militantem Christentum besteht. Die Gewalt ist nur das letzte Aufbäumen eines untergehenden Selbstverständnisses von „God, Guts & Guns“ (Gott, Schneid und Gewehre) gegen die unaufhaltsame Säkularisierung einer Gesellschaft, die längst durch Immigration verändert, vom Weltmarkt beherrscht und heute eher von Computernetzwerken als von antiquierten Idealen zusammengehalten wird. Peter Tautfest
Bericht Seite 10
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen