Kommentar: Neue Unübersichtlichkeit
■ Hoffen auf Brandenburg
Ein Glück, dass es Jörg Schönbohm gibt. Zöge der einstige Berliner Innensenator nicht seit Monaten wahlkämpfend durch die Mark, hätten die Hauptstädter kaum Notiz davon genommen, dass die Brandenburger morgen einen neuen Landtag wählen.
Doch am Sonntag wird auch über die Zukunft Berlins entschieden. Schließlich folgt fünf Wochen später die Wahl zum Abgeordnetenhaus – da könnte eine PDS-Debatte im benachbarten Potsdam die hauptstädtische SPD unter die Grenze der Koalitionsfähigkeit drücken.
Vor allem aber ist ein Blick über den Tellerrand nötig, weil Brandenburg nicht ewig ein fremdes Bundesland bleiben wird. Das Referendum, das die Länderfusion 1996 zu Fall brachte, hat das Vorhaben nur verschoben, nicht aufgehoben. Derzeit blutet Brandenburg aus, weil Berlin alle Zentrumsfunktionen auf sich zieht. Zugleich verliert die Hauptstadt immer mehr Steuerzahler, die ins Umland abwandern. Nur die Fusion kann das Problem aufheben.
Vor drei Jahren waren es die Brandenburger, die sich mehrheitlich gegen ein Zusammengehen entschieden. Diese Stimmung gibt es noch immer, und der stets anpassungsfähige Manfred Stolpe gehorcht ihr ebenso wie die PDS, die damals schon als Bedenkenträgerin agierte. Frühestens in der Mitte der übernächsten Legislatur, glaubt Stolpe, könne ein neuer Anlauf unternommen werden.
Bis dahin werden die Berliner leiden müssen. Schließlich sind es vor allem die festgefügten Ost-West-Strukturen, die in der Hauptstadt das Regime der ungeliebten Großen Koalition zementieren. Die PDS im Osten, die PDS-Phobie im Westen – da hat Rot-Grün pur keine Chance, und für die CDU reicht es alleine auch nicht.
Eine Länderfusion hätte den unschätzbaren Vorteil einer neuen Unübersichtlichkeit. Der Graben zwischen Ost und West würde durch die Antipathien zwischen Berlinern und Brandenburgern überlagert. Die derzeitigen Wahlergebnisse lassen sich nicht einfach addieren. Die Karten würden neu gemischt, und schon aus biologischen Gründen träten an die Stelle der Dauerregenten Diepgen und Stolpe neue Köpfe. Politik könnte wieder spannend werden.
Ralph Bollmann
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