piwik no script img

■ KommentarVerdummen die Deutschen? ■ Die Kritik an Gesamtschulen wächst – zu Unrecht

Über die Gesamtschulen wird gestritten, seit es sie gibt. Konservative Pädagogen und Politiker polemisierten damals, 1973, vehement gegen das neue Schulmodell. „Sozialistische Gleichmacherei“ und Verfall der humanistischen Bildungsideale lauten die vernichtenden Verdikte.

Der Streit wird stets ideologisch geführt, und daran haben auch gute praktische Erfahrungen nichts geändert. Eine neue Studie der Max-Planck-Gesellschaft soll den Kritikern nun neue Argumente liefern. Das zumindest verbreiten einige Medien seit Anfang der Woche. „Die Leistungsstandards an Gesamtschulen in NRW sind nicht mehr verlässlich“, titelt eine Berliner Zeitung dramatisch und verweist darauf, dass ein identisches Testergebnis bei einem Gymnasium mit einer Vier bewertet wurde, bei einer Gesamtschule mit einer Eins. Kurz: Die Bildungspolitiker müssten handeln.

Der Alarmismus kommt etwas vorschnell: Jene Studie ist noch gar nicht erschienen. Lediglich das spektakuläre Bruchstück des Ergebnisses ist durchgesickert. Aber das reicht einem richtigen Gesamtschulfeind schon für ein paar flotte Zeilen über den Bildungsnotstand im Lande. Dass im Durchschnitt der Studie der Unterschied nicht mehr als eine Note beträgt, wird gar nicht mehr erwähnt.

Ähnlich spektakulär wie die neue Max-Planck-Bildungsstudie wurde bereits im Frühjahr auf eine Untersuchung reagiert, bei der deutsche Schüler in Mathematik und Naturwissenschaften erheblich schlechter abschnitten als schwedische oder Schweizer Schüler. Von einem Schock war da die Rede, vom Absacken in die Amateurliga der Bildungssysteme. So muss in der Öffentlichkeit langsam der Eindruck entstehen: Die Deutschen verdummen.

Doch davon kann keine Rede sein. Im Gegenteil: Im Durchschnitt gehören die Schulabgänger, Lehrlinge und Studenten dieses Landes immer noch zu den Besten weltweit. Bei allen Schwächen in der Spitze bewundern die meisten Bildungspolitiker anderenorts die Breite gut ausgebildeter Fachkräfte in Wirtschafts- und Dienstleistungsunternehmen. Nicht zuletzt auf ihnen basieren die Erfolge mittelständischer Unternehmen. Wenn jetzt wieder die Gesamtschulen angegriffen werden, dann vor allem aus einem verkorksten Elitedenken, das wieder um sich greift. Daniel Haufler

Bericht Seite 7

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen