■ Kommentar: Nur eine Illusion Tolerierung führt die SPD ins Abseits
Auf den ersten Blick hat der Gedanke an eine CDU-Minderheitsregierung wirklich Charme: Mit dem Mehltau der Großen Koalition wäre Schluss, endlich gäbe es wieder politische Kontroversen.
Die CDU wäre schnell entzaubert. Ohne den Koalitionspartner SPD würden die bisher verdeckten Schwächen der Union klar zu Tage treten. Und die SPD, hoffen nicht nur viele GenossInnen, könnte sich in der Opposition richtig regenerieren.
Doch diese Erwartungen sind eine Illusion. Eine echte Oppositionsrolle könnte die SPD gar nicht spielen. Die undankbare Rolle, der CDU im Parlament zu einer Mehrheit für Gesetze zu verhelfen, fiele im Regelfall den Sozialdemokraten zu. Denn Grüne und PDS würden die CDU aufgrund ihrer häufig konträren Programmatik wohl nur in den seltensten Fällen unterstützen. Selbst wenn es der SPD gelänge, der CDU einen Kompromiss abzuhandeln, würde sie öffentlich als deren Steigbügelhalterin wahrgenommen.
Die SPD könnte auch nicht mehr wie in einer Großen Koalition ihre eigenen Entwürfe durchsetzen. Die Fraktion geriete in eine ußerst schwierige Rolle: Statt in der Opposition neue Konzepte zu entwickeln, müsste sie ständig darüber debattieren, was ihre Abgeordneten mitzutragen bereit sind. Eine Dauer-Zerreißprobe.
In der Öffentlichkeit würde die SPD nicht mit einer klaren Linie wahrgenommen, sondern als vielstimmiger Chor – eine denkbar schlechte Voraussetzung, um das Profil zu schärfen. Und falls die SPD sich im Parlament verweigert, könnte die CDU die Sozialdemokraten als vaterlandslose Gesellen anprangern.
Auch die Hoffnung auf vorgezogene Neuwahlen ist trügerisch. Selbst wenn sich die instabile Regierung schnell verschlisse, würde der Wähler das kaum mit einer rot-grünen Mehrheit belohnen. Wahrscheinlicher wäre eine absolute Mehrheit für die CDU, weil das Wahlvolk von dem Polittheater die Nase voll hätte.
Die Tolerierung eines CDU-Senats führt die SPD geradewegs ins Abseits. Eine Minderheitsregierung würde auch der Stadt schaden. Politische Entscheidungen würden erschwert. Stillstand kann sich Berlin aber nicht leisten. Dorothee Winden
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