Kommentar: Polen hat seine eigenen Mauern
■ Drüben wird gefeiert, hüben wird gekämpft
Während in Deutschland der berühmte Mauerfall gefeiert wird, steht in Polen eine neue Mauer. In Trzebinia (Schlesien) haben nämlich einige Bergleute in einem Bürozimmer, wo sie im Okkupationsstreik verharren, die Tür von innen zugemauert. Ihre Grube wurde soeben geschlossen, so kämpfen sie nun um ihre Arbeitsplätze.
Und diese kleine Mauer ist für die Öffentlichkeit in Polen interessanter als die von Berlin. Sie ist ein Symbol für die Grenze zwischen der regierenden „Solidarnosc“ und der polnischen Gesellschaft. Nach den letzten Untersuchungen leben knapp 50 Prozent der Polen an der Armutsgrenze, davon zwei Millionen im tiefsten Elend. Niemals seit 1989 ging es den Polen so schlecht wie heute, wo die ehemaligen Oppositionellen nun in ihren Luxus-Limousinen nach dem Motto „Jetzt sind WIR dran!“ die Macht in vollen Zügen genießen.
Und während in Berlin der polnische Ex-Außenminister Skubiszewski schon wieder einen Preis empfängt, denkt sich so mancher Pole: Ohne mich, ohne uns, ohne die polnischen Arbeiterstreiks von 1956, 1970, 1980, ohne Solidarnosc, den Runden Tisch und die Partei, die bei uns 1989 freiwillig und friedlich auf ihre Macht verzichtete, hätte es den Mauerfall „bei denen“ nicht gegeben. Ganz rechts ist manchmal sogar zu hören, es wäre der Papst gewesen, der zusammen mit Ronald Reagan dem Kommunismus in Europa ein Ende setzte. Kein Wunder also, dass der Indien-Besuch des „Heiligen Vaters“ für die meisten Medien wichtiger ist als der Berliner Mauerfall.
Und für die Menschen? Das ist schwer zu beantworten. Man sagt hier, wo es zwei Polen gibt, da gibt es drei Meinungen – wenn nicht über die Wende in Europa von 1989, dann wenigstens über ihre Folgen. Nur wenige Polen wissen zwar, dass Egon Krenz wahrscheinlich hinter Gitter muss – aber wenn, dann hören es die einen mit Freude, die anderen mit Entsetzen. Doch bald vergessen die Polen auch das, denn es gibt für sie wichtigere Nachrichten. Wie das, was sie dieses Jahr bereits 18-mal haben hören müssen: Das Benzin ist wieder teurer geworden ...
Marek Trenkler ‚/B‘ Der Autor ist Gründer der polnischen Nachrichtenagentur insider press
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