■ Kommentar: Spiel auf Zeit Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter wieder verschoben
Das peinigende, sich endlos hinziehende Schauspiel der Verhandlungen um die Entschädigung der Zwangsarbeiter findet kein Ende. Nächster Termin in drei Wochen. Von der deutschen Seite erinnert die Verhandlungsdramaturgie mittlerweile an das Tarifrunden-Ritual. Steht vor dem Milliardenpunkt eine ein- oder zweistellige Zahl? Hinter dieser Mystifikation verschwindet, worum es eigentlich bei der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft gehen soll: kollektive Verantwortung gegenüber den Opfern – unabhängig davon, ob Forderungen der Zwangsarbeiter noch einklagbar sind – und Respekt vor deren Lebensschicksal. Von diesen beiden Motiven war nach der ersten Verhandlungsrunde nichts mehr übrig geblieben. Jetzt galt die vordringliche Sorge der Rechtssicherheit, ein Grundakkord, den der Bundeskanzler von vornherein vorgab. Erst als der Schutz vor doppelter Zahlung hinreichend gewährleistet schien, kam die Stiftung mit einem Angebot heraus, das die amerikanische Anwältin Deborah Sturman völlig zu Recht als demütigend bezeichnet hat.
Demütigend nicht nur für die Zwangsarbeiter, sondern für all jene in Deutschland, die sich eine großzügige Geste seitens der Unternehmen und der Bundesregierung erhofft hatten – mochte diese Geste auch noch so sehr dem ökonomischen Kalkül, dem Schutz vor Boykottmaßnahmen auf dem amerikanischen Markt, entsprungen sein. Statt der großen Geste später Anerkennung: viele verstockte kleine Gesten der Verweigerung.
Nicht einmal alle großen, notorischen Nutzer der Zwangsarbeit sind bislang dem Fonds beigetreten, von den kleineren Ausbeutern ganz zu schweigen.
Eine nützliche Lehre für alle, die vom Verantwortungsbewusstsein des deutschen Unternehmertums fürs große Ganze schwärmen. Mag die deutsche Seite jetzt wieder entrüstet den Verdacht von sich weisen, sie spiele auf Zeit. Genau das tut sie, trotz der tröstlichen Versicherung Lambsdorffs, die Ansprüche der Zwangsarbeiter seien vererbbar.
Bei der nächsten Verhandlungsrunde wird sich der Druck auf Opferverbände, östliche Regierungsvertreter und amerikanische Anwälte verstärken: Sie werden im Interesse ihrer noch lebenden Schutzbefohlenen Lösungen zustimmen müssen, die sie eigentlich nicht billigen können. Friss oder stirb.
Christian Semler
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