Kommentar: Kaschierter Hinterhalt
■ Koalition will Altfälle loswerden
Die kurz vorm neuen Jahrtausend getroffene Altfallregelung ist ein politischer Offenbarungseid – und noch dazu hinterhältig.
Hinterhältig ist sie, weil sie von Menschen, denen man jahrelang die Arbeitsaufnahme in Deutschland verboten hat, jetzt ein Einkommen durch Erwerbsarbeit fordert. Sonst dürfen sie nicht bleiben. Man muss wohl Innenminister sein, um zu verstehen, wie das gehen soll. Ansonsten gibt es nur einen Schluss: Es soll wohl nicht gehen.
Die besondere Komponente des Beschlusses aber liegt in seiner Argumentation. Kernidee: Wer „faktisch integriert“ ist, soll bleiben dürfen; drumherum sind ein paar kaschierende Härtefallregelungen drapiert, damit nicht so auffällt, wer nach Lesart deutscher Innenminister neuerdings als „faktisch integriert“ gelten darf – und folglich, wer nicht. Sozialpolitiker dürfen sich das auf der Zunge zergehen lassen – und auch die vielen Arbeitslosen und SozialhilfebezieherInnen in den großen Städten, den fünf Ost-Ländern und im Freizeitpark Norddeutschland dürfen sich gemeint fühlen. Denn nach der Innenminister-Definition wären sie nicht integriert. Weniger, weil sie mal den Pass weggeworfen hätten oder die Kinder mal nicht zur Schule gingen. Sondern weil sie ihren Lebensunterhalt nicht selbst verdienen. Sind das nicht Weg weisende Töne – passend zum nächsten Jahrtausend? Bis dahin sollen die Altfälle übrigens entschieden sein. Ein Tempo, das nicht viel Aufwand gestattet. Eva Rhode
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen