Kommentar: Schon ein Grund
■ Warum Repression gegen gesellschaftlich Schwache sich durch sich selbst legitimiert
Vor wenigen Tagen spielte sich vor der taz eine bezeichnende Szene ab: Zivilpolizisten, als solche nicht erkennbar, nahmen einen Jugendlichen fest und riefen PassantInnen zu, sie sollten einen Streifenwagen rufen. Eine Frau lief umgehend zur nächsten Telefonzelle. Auf die Frage nach dem Warum, schließlich hatte sie nicht einmal die Dienstmarke der BeamtInnen gesehen, entgegnete sie erstaunt: „Die werden schon einen Grund haben, wenn sie den Jungen festhalten.“
Repressive Maßnahmen legitimieren sich durch sich selbst. So funktioniert es auch mit den Hausbesuchen bei SozialhilfeempfängerInnen. Zwar argumentieren die Befürworter, man müsse die „Schwarzen Schafe“ aussieben, um die Akzeptanz für den Sozialstaat zu erhalten. Umgekehrt heizt es das Misstrauen gegenüber SozialhilfeempfängerInnen aber weiter an, weitet man die Kontrollinstrumente immer mehr aus. Denn dadurch wird die Notwendigkeit suggeriert, „denen“ auf die Finger und in die Wohnung zu schauen. „Die werden schon einen Grund haben, wenn sie Hausbesuche machen“, würde jene Passantin wohl dazu sagen.
Nach diesem Schema wird auch die Ausländerpolitik immer weiter verschärft. Wer nicht halb zu Tode gefoltert wurde, gilt als nicht asylwürdig – und als Missbraucher, der die Akzeptanz der „wirklich Bedürftigen“ gefährdet. Und weil einige BürgerInnen Sozialhilfe bezogen haben mögen, die auch ohne diese nicht verhungert wären, müssen alle in Kauf nehmen, dass für sie das Recht auf Privatsphäre in den eigenen vier Wänden nicht gilt – zum eigenen Schutz, natürlich. Elke Spanner
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