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KommentarDie katholische Krankheit ■ Die CDU hat sich zum goldenen Kalb gemacht

Männer und Frauen in einem Kölner Seniorenheim äußern sich in der ARD bodenlos enttäuscht und verbittert über „ihren“ Kanzler Kohl. Der moralische Verfall „ihrer“ Partei habe ihnen die politische Heimat geraubt. Sie empören sich zu Recht über die Doppelzüngigkeit jener Politiker, die eine geistig-moralische Wende auf ihre Fahne geschrieben hatten und nun das Wohl der Partei über ihre moralischen Standards –und die geltenden Gesetze stellen. Systematisch, über Jahre hinweg, mit erheblicher krimineller Energie. Aber waren nicht Parteileute mit dem hohen „C“ im Namen und ihre Wählerinnen und Wähler von der gleichen „katholischen“ Krankheit angesteckt? Nämlich eine angeblich gute Sache – die christliche Partei – absolut gesetzt, ihr blind vertraut und formale Regeln als zweitrangig eingestuft zu haben?

Ähnlich aufgebracht wie das Wahlvolk der C-Parteien reagiert die konservative Presse auf Kohls bockiges Schweigen und die behutsamen Maßnahmen der CDU-Führung. Die Kommentare des Frankfurter Herrenblatts greifen stellenweise zu einem Ton, den sie sonst den Attacken gegen Gewerkschafter und Grüne vorbehalten. Politisch ist den Herausgebern das Milieu und der Boden wegge-brochen, denen sie ihre hervorragende Position in der Bonner Republik verdankten. Sie hat allerdings nicht die „katholische“, sondern die „bürgerliche“ Krankheit befallen: Wegen der fehlenden Distanz zu konservativ-bürgerlichen Politikern wurden sie deren hilflose Opfer. Und sie hatten sich zu lange mit der Vorstellung angefreundet, dass die politische Macht in Deutschland „natürlicherweise“ einer konservativ-bürgerlichen Mehrheit mit offenen Flanken nach rechts zufalle. An der wollten sie Anteil haben und mitbestimmen, was für die Partei, für Deutschland und für das Volk gut sei.

Nun rufen die Medien nach einer moralischen Autorität. Erwarten sie einen Engel vom Himmel oder Bundespräsidenten als Moralprediger? Dieser Rückgriff auf religiöse Symbolik ist nicht nötig: Politische Moral ist in erster Linie eine Frage der demokratischen Institutionen. Die sind trotz der Beulen, die die CDU ihnen verpasst hat, intakt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Die Medien stellen Öffentlichkeit her. Das Parlament mistet aus. Wer das Recht gebrochen hat, wird bestraft. Friedhelm Hengsbach

Jesuitischer Professor für christliche Gesellschaftsethik

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