Kommentar: Terrorprozente
■ Warum im Hamburger Wahlkampf die Unschuld unter General-Verdacht gerät
Die Wahlkampfpause hätte gerne länger dauern dürfen. Von all der Pietät, welche Hamburgs Parteien nach dem Terror-Anschlag in den USA zu fünf Tagen selbstauferlegter Enthaltsamkeit trieb, ist nichts geblieben. Sie unterscheiden sich nur noch im Ausmaß an Dreistigkeit, mit der sie Ängste und Trauer zu Stimmenprozenten an der Wahlurne zu machen versuchen.
Fast schon rührend erscheinen da die verbliebenen grünen Warner vor dem, was sie für überzogene Reaktionen halten, und der Regenbogen, welcher sich zur einzigen und wahren Friedenspartei ernennt.
Die SPD lässt derweil ihren Bürgermeister den Staatsmann geben, der über den Parteien schwebe, und zugleich ihren Parteichef zum scheinheiligen Krieg gegen Menschen jeglichen Geschlechts, jeglicher Konfession, jeglicher ethnischer Herkunft blasen. Gegen all die braven Bürger letztlich, die so unauffällig und gesetzestreu sind, dass sie bestimmt irgendwas im Schilde führen müssen: Das rechtsstaatliche Prinzip der Unschuldsvermutung wird unter General-Verdacht gestellt.
Schlimmer als die, welche von Amts wegen falsch handeln, sind nur noch jene, die es nur zu gerne selber täten. Der gemeinsame Versuch von CDU und FDP, zum eigenen Vorteil in die Kriegskasse zu langen, ist in seinem Kern amoralisch. Und beweist nichts als die Skrupellosigkeit ihres Bemühens, einst linken Sozialdemokraten nicht das Feld zu überlassen, die leichten Herzens selbst den gnadenlosen Richter rechts überholen.
Wahltaktisch mag das alles ja zu rechtfertigen sein. Pervers ist es dennoch. Sven-Michael Veit
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