Kommentar: Glücks-Strähne
■ Warum Innensenator Ronald Schill unbedingt Haare lassen wollte
Keine Kokainspuren in Schills Haaren – dieses Ergebnis ist erwartungsgemäß. Widerlegt ist damit eine Anschuldigung, die niemand öffentlich erhoben hat: Dass Hamburgs Innensenator ständig unter Koks stehe. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Denn Gelegenheitskonsumenten können durch Haarproben bekanntlich nicht sicher identifiziert werden.
Nicht widerlegt ist damit auch die Behauptung des anonymen Zeugen, Schill habe sich am Wahlabend Kokain oder ein anderes Pulver aufs Zahnfleisch gerieben. So ist es nur folgerichtig, dass die Staatsanwaltschaft gestern wegen dieses Vorwurfs ein Ermittlungsverfahren gegen Schill eingeleitet hat.
Auf der anderen Seite gibt es keine Hinweise darauf, dass bei der Probe geschummelt wurde. Wer das behauptet, begibt sich leichtfertig in den Bereich der Verschwörungstheorien.
Schill hat um den Haartest förmlich gebettelt: Noch bevor der anonyme Parteifreund ihn beschuldigte, brachte er ihn – ungefragt – selber ins Gespräch. Dazu passt die kuriose Beichte Schills, er habe die jetzt untersuchte Strähne – und nur diese – seit rund einem Jahr vom Friseur ungeschoren gelassen, weil er seit langem mit einem Haartest gerechnet habe.
Für den angeschlagenen Senator bietet der Haartest die Gelegenheit zum universellen Befreiungsschlag. Er nutzt seine „Glücks-Strähne“, um alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe als mediale, von der Opposition gesteuerte Schmutzkampagne pauschal vom Tisch zu wischen.
Das aber gibt das haarige Ergebnis nun wirklich nicht her.
Marco Carini
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