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Kommentar zur BeschneidungsregelungHeilmanns klare Ansage

Kommentar von Stefan Alberti

Raus aus der Grauzone: Mit der neuen Regelung für religiöse Beschneidungen wissen Eltern in Berlin genau, woran sie sind.

M an kann sie gut finden, man kann sie schlecht finden – entscheidend ist, dass es jetzt überhaupt eine klare Ansage gibt. Bis zu einer bundeseinheitlichen Regelung sind Beschneidungen in Berlin unter bestimmten Bedingungen vorerst straffrei. Eltern und Ärzte wissen damit genau, woran sie sind, und bewegen sich nicht mehr in einer rechtlichen Grauzone. Mit seiner entsprechenden Anweisung an die Staatsanwaltschaft zeigt Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) damit jene klare Kante, die etwa das CSU-regierte Bayern vermissen lässt.

Dort drückt sich das Justizministerium um eine landesweite Regelung und schiebt die Verantwortung allein der Bundesebene zu. In Bayern wissen Eltern und Ärzte derzeit nicht, ob sie sich mit einer Beschneidung strafbar machen oder nicht.

Einheitliche Linie muss her

Heilmanns Entscheidung ist dabei kein plumpes Anbiedern an die jüdischen und muslimischen Gemeinschaften. Die Bedingungen, an die er Straffreiheit knüpft – dass etwa nur Ärzte beschneiden –, werden manchem nicht passen. Heilmann hat abgewogen, hat auch die Interessen derer im Blick, um die es eigentlich geht: der Kinder.

Mittelfristig aber ist eine Situation unhaltbar, in der es eine Frage von Bundesländergrenzen ist, ob Beschneidung als Körperverletzung verfolgt werden kann. Jahrelange Diskussionen und langwierige Arbeitsgruppen sind hier unangebracht. Die Fakten liegen auf dem Tisch, die Meinungen sind weitgehend ausgetauscht. Nun muss der Bundestag in die Gänge kommen, sich festlegen und das Strafrecht präzisieren – in welche Richtung auch immer.

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Redakteur für Berliner Landespolitik
Jahrgang 1967. Seit 2002 mit dreieinhalb Jahren Elternzeitunterbrechung bei der taz Berlin. Schwerpunkte: Abgeordnetenhaus, CDU, Grüne.
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11 Kommentare

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  • P
    Pensador

    Offenbar ist vielen noch nicht klar, wie groß der Schaden und das Leid für die Opfer ist und welche Funktionen - sensorische Funktion, koitale Funktion, Schutzfunktion - mit der Vorhaut verbunden sind. Alle behaupteten medizinischen "Vorteile" männlicher Genitalverstümmelung (ich bitte, aus Respekt vor den Opfern auf die gängigen Euphemismen zu verzichten) sind übrigens längst widerlegt - das Gegenteil ist richtig. Bitte schauen Sie genau hin und überzeugen Sie sich selbst, z. B. in den Büchern von James Bigelow oder Ronald Goldman oder auf den Internetseiten von NORM, Noharmm, der International Coalition for Genital Integrity oder Jews against Circumcision.

  • D
    Demokratie

    Richtig, die Fakten liegen auf dem Tisch. Und diese

    sprechen ziemlich eindeutig für ein Verbot der Praxis, aber die Bundesregierung tendiert in die entgegengesetze Richtung.

     

    * Die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie

    http://dgkic.de/index.php/presse/189-pressemitteilung-juli-2012

     

    * Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e. V.

    http://www.beschneidung-von-jungen.de/home/komplikationen/verantwortungsvoll-durchgefuehrte-beschneidungen-und-ihre-folgen.html

     

     

    * Die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin

    http://dakj.de/media/stellungnahmen/ethische-fragen/2012_Stellungnahme_Beschneidung.pdf

     

    * Deutschlands größte unabhängige Kinderechtsorganisation

    https://www.kinderhilfe.de/blog/artikel/bundestagspetition-zu-beschneidungen/

     

    * Und nicht zuletzt die absolute Mehrheit der Bevölkerung

     

    haben das Urteil begrüßt, und befürworten ein Verbot der Beschneidung Minderjähriger.

     

    In anderen Ländern wie Dänemark gibt es sogar ein Konsens für ein Verbot über alle Parteigrenzen ab:

     

    http://www.phimose-info.de/phimose-forum/viewtopic.php?f=12&t=2407

  • MT
    Mathias Thiede

    Rechtsbeugung in Berlin - Berlin schafft die Gewaltenteilung ab

     

    Aus gutem Grund gibt es in Deutschland die Gewaltenteilung: Die Legeslative (das vom Volk gewählte Parlament) setzt die (Straf)Gesetze. Die Exekutive (Staatsanwaltschaft) hat sie anzuwenden und Straftaten zu verfolgen. Und die Judikative (Strafgericht) entscheidet über die Strafbarkeit.

     

    In Berlin haben nun der Justizsenator und der Generalstaatsanwalt (Exekutive) alle 3 Gewalten an sich gerissen. Sie haben - statt der Legeslative und gegen das Bundesrecht - § 223 StGB (Körperverletzung) teilweise aufgehoben und - statt der zuständigen Gerichte (Judikative) - entschieden, dass - entgegen Rechtsprechung und Fachliteratur - das Abtrennen von Körperteilen keine Körperverletzung ist. Außerdem haben sie kraft ihrer Ämter einfach mal so das Grundgesetz geändert: In Berlin bricht nun - entgegen Art. 72 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG - das Landesrecht das Bundesrecht: § 223 StGB (Körperverletzung) wird in Berlin nicht mehr konsequent angewendet.

     

    Nach dem Legalitätsgrundsatz ist die Staatsanwaltschaft verpflichtet, alle Straftaten zu verfolgen und bei hinreichendem Tatverdacht zur Anklage zu bringen. Die Anweisung an die Staatsanwälte seitens des Justizsenators und des Generalstaatsanwalts, bestimmte Körperverletzungsdelikte - trotz eindeutiger Rechtsprechung und Fachliteratur - nicht mehr zu verfolgen, verstößt gegen diesen Legalitätsgrundsatz und erfüllt damit den Tatbestand der Rechtsbeugung.

     

    In den 90ern wurden DDR-Oberstaatsanwälte, die DDR-Staatsanwälte angewiesen hatten, aus politischen Gründen Strafanzeigen wegen Wahlfälschungen 1989 in der DDR nicht zu verfolgen, zurecht wegen Rechtsbeugung verurteilt. Mit seiner Weisung dürften sich nun der Berliner Generalstaatsanwalt wegen Rechtsbeugung und der Justizsenator wegen Anstiftung strafbar gemacht haben.

  • MT
    Mathias Thiede

    @ Oma Kruse

     

    So, so, wer sich für die Rechte kleiner Kinder, für deren Religionsfreiheit und gegen die religiöse Markierung von Religionsunmündigen einsetzt, gehört also zum "Pro-Deutschland-Pöbel" und zur "Ausländer-und-Juden-raus-Fraktion"? Na dann gehören ja wohl auch die, die sich gegen Zwangsverheiratung und Mädchenbeschneidung einsetzten, zum "Pro-Deutschland-Pöbel" und zur "Ausländer-und-Juden-raus-Fraktion"!

     

    Oma Kruse, kämpfen Sie ruhig weiter für das (reliöse) Recht auf Zwangsbeschneidung von Jungen und Mädchen und für das Recht auf Zwangsverschleierung und Zwangsverheiratung, um sich eindeutig von diesem "Pro-Deutschland-Pöbel" und dieser "Ausländer-und-Juden-raus-Fraktion" abzugrenzen!

  • OK
    Oma Kruse

    Mächtiges Summen und Brummen beim Pro-Deutschland-Pöbel :-)

     

    Gute Entscheidung in Berlin! Eine Niederlage für die Ausländer-und-Juden-raus-Fraktion.

  • S
    schlossgeorg

    ... und als nächstes verteidigt ihr die Folter, weil sie im Namen einer der vielen Religionen identitätsbildend ist? Das liegt in der Stringenz eurer Logik.

     

    Schämt euch !!!

  • T
    Tim

    Soso... Rechtssicherheit.

     

    Ich frage mich warum dieses ach so hohe Gut eigentlich immer als Argument der Beschneidungsbefürworter herhalten muss.

     

    Es ist zudem so, das Beschneidungen jetzt in Berlin eben nicht straffrei sind (das, lieber Stefan, entscheidet immer noch ein Richter bzw. der Gesetzgeber). Es wurde lediglich klargestellt, dass so geartete Körperverletzungsdelikte derzeit nicht verfolgt werden. Das wirft natürlich mal wieder die Frage auf, wie sinnvoll es ist, dass deutsche Staatsanwälte an die Weisungen der Justizminister gebunden sind.

  • G
    gcp

    Beschneidung von Kindern (ohne medizinische Indikation) ist Körperverletzung und damit basta! Was maßt sich dieser Knülch von Jurist eigentlich an? Wie bereits gesagt, ist es Sache von Richtern und letzten Endes des Parlamentes als Legislative, über solche Dinge zu urteilen. Und das Recht auf körperliche Unversehrtheit steht immer noch über der Religionsfreiheit!Zum Donnerwetter!

    Ich bin nicht grundsätzlich gegen die Zirkumzision, sie hat definitiv gesundheitliche Vorteile, aber dann bitte frühestens an 16 und selbstverständlich mit schriftlicher Einwilligung des Jungen, sowie, ebenfalls verpflichtend, unter Lokalanästhäsie! Illegale Beschneidungen könnten jederzeit entdeckt werden bei verpflichtenden Vorsorgeuntersuchungen - und dann könnten die Eltern selbstverständlich auch dafür belangt werden.

    Aber dieses Anbiedern an Religionsgemeinschaften, wobei billigend in Kauf genommen wird, dass Babies und Kleinkinder ohne Betäubung beschnitten werden - das spottet jeder Beschreibung und tritt die Menschenrechte mit Füssen!

     

    Oh TAZ, wie tief bist du gesunken!

  • R
    Rene

    Dieser man hat Jura studiert und alle sollten sich vor ihrer Studienwahl anschauen wo. Denn wie kann man Jura studiert haben, aber so etwas verzapfen?!

    Man kann ja zu dem Thema stehen wie man will, aber kein Minister kann einfach sagen, wie Recht ausgelegt und gesprochen werden soll! Das obliegt immer noch den Richtern und dem Parlament. Dieser Mann hat keine Klarheit geschaffen, sondern nur gezeigt, dass sein Jurastudium nichts wert und sein Verständnis von Gewaltenteilung scheinbar gleich Null ist. Aber was erwartet man auch von Ministern die nach dem Buddy-Prinzip ernannt werden.

  • BK
    Bernhard Kaiser

    Ich kündige mein TAZ-Abo! Was für ein blödsinniger Kommentar, Beschneidung ist und bleibt Körperverletzung, das ist rechtlich klar definiert und darüber herrscht in Juristenkreisen Konsens, das Thema wird da ja nicht erst seit gestern diskutiert! Und darüber kann sich auch nicht irgendein Justizsenator hinwegsetzen, denn damit setzt er sich über das Grundgesetz hinweg, das hält keiner rechtlichen Prüfung stand!

  • KB
    Karin Bryant

    Eine einheitliche Linie gibt es laengst ,es heißt Grundgesetz und garantiert jedem Bürger koerperliche Unversehrtheit ,leider gelten deutsche Gesetze offenbar nicht für alle, Deutschland macht sich lächerlich.