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Kommentar zum WahlergebnisGut für Großbritannien

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Das Wahlergebnis funktioniert für keine Partei alleine, davon wird das Land profitieren. Statt eines Regierungs- muss es einen Politikwechsel geben.

May muss jetzt über all ihre Wahlschatten springen Foto: ap

W ahlen in Großbritannien können sehr merkwürdig sein. Theresa May hat am 8. Juni das beste Wahlergebnis für die Konservativen seit Margaret Thatchers erstem Wahlsieg 1979 geholt, mit knapp 44 Prozent der Stimmen. Aber während vor nur zwei Jahren bei der letzten Wahl 36 Prozent für die Tories zur absoluten Mehrheit der Sitze reichten, ist diesmal mit einem viel höheren Stimmenanteil die Mehrheit im Parlament futsch und die Premierministerin kann froh sein, dass sie überhaupt im Amt bleibt.

May hatte zur Brexit-Wahl gerufen, und die wurde es auch, aber nicht wie von May gedacht. Das Brexit-Votum vor einem Jahr war ein Sprung ins Ungewisse, und viele Briten sagten sich damals, dass sie sich das zutrauen. Diesmal nutzte der Impuls, mutig zu wählen, Jeremy Corbyn und seinem linkspopulistischen Labour-Wahlprogramm, mit seinen kostenlosen Wohltaten für alle und einem Schuss Utopie. Denn die Jungwähler, die vor einem Jahr beim Brexit-Referendum in großer Zahl zuhause geblieben waren und damit den Brexit-Sieg ermöglicht hatten, haben ihr Versäumnis von damals korrigiert: Sie sind diesmal massiv an die Urnen geströmt, um Corbyn zu stärken – über alle Erwartungen hinaus, auf über 40 Prozent.

So ist nun etwas eingetreten, was allen herkömmlichen Deutungsmustern widerspricht: Corbyn ist in seiner Partei gestärkt und May in ihrer geschwächt. Nicht May, sondern Corbyn steht nun für „starke und stabile Führung“. Das wird die politische Landschaft.verändern. Jenseits aller Fragezeichen über Corbyns wahre politische Überzeugungen und Fähigkeiten und die Mischung aus aggressiver Überheblichkeit, plumper Demogagie und peinlichem Corbyn-Personenkult gibt es nun einen neuen Raum für frisches progressives Denken in Großbritannien – das ist bitter nötig, um die Debatte über die Gestaltung des Brexit nicht den Nationalisten zu überlassen.

May kündigt Regierungsbildung an

Großbritanniens Premierministerin Theresa May will trotz deutlicher Verluste ihrer Tory-Partei bei der Parlamentswahl eine neue Regierung bilden. Diese werde Großbritannien aus der EU führen, sagte May am Freitag in London. Zuvor war sie bei Queen Elizabeth II. vorstellig geworden, um sich den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen zu lassen.

Die Verhandlungen über den EU-Austritt will sie, wie von Brüssel vorgeschlagen, am 19. Juni beginnen. Bei der Neuwahl am Donnerstag hatte May ihre Regierungsmehrheit im Parlament verloren. Sie muss jetzt einen Koalitionspartner für ihre Konservativen finden. Als Favorit gilt die nordirische Partei DUP. (afp/dpa)

Auch in anderen Hinsichten ist dieses Wahlergebnis positiv für Großbritannien. Der spektakuläre Absturz der schottischen Nationalisten begräbt auf absehbare Zeit deren Pläne für ein zweites Abspaltungsreferendum im Norden der Insel. Und dass Theresa May zum Regieren nun die nordirischen DUP-Unionisten braucht, wird eine vernünftige Einigung über eine weiterhin offene innerirische Grenze nach dem Brexit erleichtern.

May muss jetzt über alle Schatten springen

Die britische politische Landschaft ist nach dieser Wahl jedenfalls weit offen. Es ist gut, dass es zwar keinen Regierungswechsel geben wird, aber einen Politikwechsel geben muss. Wenn sie als Premierministerin im Amt bleibt, muss Theresa May nun über all ihre Wahlkampfschatten springen, um nicht doch noch im Sommer oder Herbst einem parteiinternen Putsch zum Opfer zu fallen.

Sie muss auf ihre Gegner inner- und außerhalb der Konservativen zugehen und sich an ihre eigene Antrittsrede vom Juli 2016 erinnern: als sie ein Großbritannien versprach, das „für alle funktioniert“. Ein Wahlergebnis, das für keine Partei allein funktioniert, aber für jede Partei etwas bietet, ist da eine ganz gute Voraussetzung.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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5 Kommentare

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  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    Dominic Johnson bläst in das gleiche antilinke Horn wie sein Pariser Kollege Rudolf Balmer. Progressive liberale Politik, was immer das auch sein mag, in ganz Europa. Am liebsten Macron klonen und in jedem EU-Land aufstellen. Nein mit einem "verwirrten" Altlinken, der das sauer verdiente Geld der "Upperclass" unter die Armen verteilen will, kann man kein Land regieren, schon gar nicht das Vereinigte Königreich. Also, hopp, die Sozilahilfeempfäger und poor workers in die Welfarline und Maul halten, denn die sind ja nicht liberal und progressiv und haben noch nicht einmal das neuste I-Phone.

  • Ah typischer Johnson. Über den Koalitionspartner DUP wird lieber der Mantel des Schweigens ausgebreitet. Tory Verteidigung bis in den Untergang. Ich dachte die taz stände für linke Politik. Oder darf der EU Hass alles überdecken?

  • Mir ist unverständlich, warum der Kommentator Jeremy Corbyn als Linkspopulisten mit kostenlosen Wohltaten für alle diffamiert (zumal so verkürzt schlicht falsch) und zudem über das schwächere Abschneiden der europafreundlichen und sozialdemokratischen SNP gehässigt jubeliert und eine progressive schottische Bewegung an der falschen Stelle und durch die platte Übersetzung irreführend auf "Nationalisten" verkürzt. Ich finde den Kommentar von Dominic Johnson schlicht reaktionär.

  • "...und seinem linkspopulistischen Labour-Wahlprogramm, mit seinen kostenlosen Wohltaten für alle und einem Schuss Utopie."

     

    "Mischung aus aggressiver Überheblichkeit, plumper Demogagie und peinlichem Corbyn-Personenkult..."

     

    Klingt wie "The Guardian" in den letzten 2 Jahren...

  • "Sie muss auf ihre Gegner inner- und außerhalb der Konservativen zugehen"

    Warum sollte Sie das machen?

    Sie ist eine angeschlagene Politikerin und die ueberspielen das normalerweise mit harschem und kompromisslosem Auftreten: also das gegenteilige Verhalten.

    Warum sollte es hier anders sein?