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Kommentar zum SS-Gedenken in LettlandHistorischer Kurzschluss

Reinhard Wolff
Kommentar von Reinhard Wolff

Riga verteidigt den Aufmarsch für die Waffen-SS Jahr für Jahr und deutet Neonazis zu Patrioten um. Diese Blauäugigkeit beruht auf fataler Geschichtsklitterung.

Sorgt alljährlich für Kritik: Veteranenmarsch in Riga. Bild: ap

M an mag einwenden, es stehe gerade uns Deutschen nicht an, ein Land wie Lettland wegen des Umgangs mit seinen ehemaligen SS-Angehörigen zu kritisieren. War doch im Deutschland eines Konrad Adenauers und Kurt Georg Kiesingers eine SS-Vergangenheit kein Hindernis für Staatsämter, fanden braune Seilschaften auch für Kriegsverbrecher nicht selten ein geschütztes Plätzchen.

Doch die Blauäugigkeit, mit der Riga Jahr für Jahr das SS-Gedenken verteidigt und damit auch dessen Instrumentalisierung durch Neonazis verharmlost, beruht auf fataler Geschichtsklitterung, die allenfalls individuelle Täter sehen will, wo es doch um eine verbrecherische und menschenverachtende Struktur ging.

Diese Struktur geht von einer auf das Schicksal der eigenen Nation reduzierten Rangliste erfahrener Ungerechtigkeiten aus, auf der die Besatzungszeit durch Nazideutschland zwar als schlimm, die durch die Schergen Stalins aber als noch schlimmer eingestuft. Und die die Werkzeuge nationalsozialistischer Welteroberungs- und Völkervernichtungspläne vor allem auf deren Rolle als Streiter gegen die Rote Armee reduzieren will.

Bild: privat
Reinhard Wolff

ist taz-Korrespondent für Skandinavien und das Baltikum.

Ein böser Ausrutscher unterlief der litauischen Staatspräsidentin: Sie verharmloste die Teilnehmer einer Unabhängigkeitsveranstaltung, die seit Jahren von Rassisten missbraucht wird und in diesem Jahr deshalb verboten war, als „patriotische Jugend“.

Bei allem Verständnis für die Erfahrung der baltischen Staaten mit fünf Jahrzehnten sowjetischer Okkupation: In Ländern, die zu einer Gemeinschaft gehören, die nicht zuletzt gegründet wurde, damit sich niemals wiederholt, was von 1939 bis 1945 geschehen ist, dürfen keine SS-Heldengedenken und keine Feiern mehr möglich sein, bei denen Neonazis zu Patrioten umgedeutet werden.

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Reinhard Wolff
Auslandskorrespondent Skandinavien und das Baltikum
Lebt in Schweden, schreibt seit 1985 für die taz.
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9 Kommentare

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  • V
    VILKS

    wolf -ncht hund!

  • AB
    Andreas Bylaitis

    Lieber Reinhard Wolf,

     

    leider haben sie nicht richtig recheriert und die Dinge auf den Kopf gestellt. Mir liegt es fern Frau Grybauskaite zu verteidigen, aber hier wird ihr hier Unrecht getan.

     

    Der 11 März hat sich in Litauen zum 23mal gejährt, der 11 März ist ein Meilenstein in der litauischen Geschichte, indem das Litauische Volk vor 23 Jahren seine Unabhängigkeit erklärt hat...vor diesem Hintergrund demonstrierten und feierten einige tausend Jungendliche diesen Tag als den Tag der Freiheit. Leider haben sich einige nationalistische Demonstranten dazugesellt und haben in der Tat ihre Parolen verbreitet. Dalia Grybauskaite hat die Jugendlichen die für eine freies und demokratisches Litauen im Herzen Europas demonstrieren gewürdigt...mehr nicht....und dass das Wort Patriotismus im Deutschen leider durch die Nazis kontakariert wurde ist leider nicht die Schuld der Litauer....sie können ja dann mal üben wenn die deutsche Nationalmannschaft spielt und sich nicht darüber freuen wenn sie ein Tor schießt...vielleich hilfs....

  • DS
    Der Sizilianer

    Hallo Stefan,

     

    man mag im Lettland der frühen 40er Jahre die nationalsozialistische Besatzung in Teilen der Bevölkerung als „Befreiung“ von sowjetischer Herrschaft empfunden haben. Aber man muss heutzutage schon sehr geschichtsvergessen sein, wenn man dieser Vorstellung immer noch anhängt. Schließlich weiß man heute um das geheime Zusatzprotokoll zum Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffspakt vom 7. Juni 1939, in dem Lettland der sowjetischen Einflusssphäre zugeschlagen wurde. Schließlich weiß man heute, dass der 2. Weltkrieg ca. 120.000 lettische Staatsangehörige das Leben gekostet hat. Und dieser 2. Weltkrieg war das Produkt Nazideutschlands.

     

    So lässt sich also die heutige SS-Begeisterung in Lettland weder erklären noch entschuldigen.

  • T
    tommy

    @Jens Neumann:

     

    Wieso nennen Sie Lettland "völkisch verfasst"? Ok, es gibt in Teilen der lettischen Bevölkerung einen Nationalismus, der sich teils recht fragwürdig äußert (und das SS-Gedanken ist natürlich kritisch zu sehen), aber Lettland ist doch kein völkischer Staat, bei allen Problemen versucht man doch einigermaßen einen modus vivendi mit der russischen Minderheit (die ursprünglich als Kolonisten gekommen sind, ein bißchen so wie Weiße in Rhodesien) zu finden. Vielleicht sehen Sie die Dinge auch etwas zu schwarz-weiß?

     

    @Jens Schlicht:

    Zugegeben, der mittlerweile gelöschte Beitrag von dem Großvatervereherer war ein bißchen debil, aber seien Sie doch nicht so borniert! Durch andere Sichtweisen könnten Sie vielleicht auch noch was dazulernen - erweitern Sie ihren Horizont!

  • JS
    Jens Schlicht

    Toll was hier so gepostet wird. Kann man sich die pi-news sparen. Danke taz!

  • JN
    Jens Neumann

    Es stimmt, die Geschichtsverarbeitung muss man den Letten selbst überlassen. Sich allerdings kritisch mit der Holocaustleugnung und SS-Verherrlichung in der lettischen Öffentlichkeit auseinandersetzen zu dürfen, sollte in einer demokratischen Öffentlichkeit möglich sein.

     

    Wir Deutschen haben wohl eigentlich unsere Probleme mit völkisch verfassten Staaten wie Lettland, im Falle Lettland ist der antikommunistisch-antirussische Reflex stärker, jedenfalls wenn es um die offizielle deutsche Politik von SPD bis CDU geht.

  • S
    Stefan

    Aus lettischer Sicht, ist es durchaus nachvollziehbar, das die Sowjetische Besatzung als ungleich schlimmer empfunden wurde, als die Besatzung durch die Wehrmacht, die größtenteils sogar eher als "Befreiung" empfunden wurde. Dass die Personen, die gegen die Sowjetunion kämpften und das waren die Waffen-SS-Verbände dann als Helden gesehen werden, ist fast logisch.

    Für ein gemeinsames Leben in einem Europa ist es wichtig, dass man derartige historische Entwicklungen und Erfahrungen in anderen Ländern akzeptieren kann.

  • B
    BuPrä

    Überlassen sie es doch bitte den souveränen baltischen Staaten, was sie tun und was sie lassen. Unterdrückung haben diese Völker lange genug erduldet, auf Ratschläge aus der EUdSSR und der wohl eher nicht souveränen Bundesrepublik können sie gerne verzichten.

  • T
    tommy

    Das SS-Gedenken ist natürlich falsch; aber ebenfalls fragwürdig ist die Geschichtsdeutung, die im Westen (und wohl auch von Herrn Wolff) favorisiert wird, wonach die Sowjetbesatzung mit ihren Deportationen und brutaler Repression letzten Endes nur eine Bagatelle war und die baltischen Völker sich selbst vor allem als Kollaborateure und Holocaustmörder zu sehen hätten (Salomon Korn hat das vor einigen Jahren auf die m.E. zumindest was das Baltikum angeht perfide Formel gebracht, dass "im Zentrum des Gedenkens das anderen zugefügte Leid stehen müsse, nicht das Leid, dass man DURCH EIGENES VERSCHULDEN erlitten hat" - eine absurde Deutung, denn die brutale Sowjetbesatzung von 1940/41 kann nicht als Folge von NS-Kollaboration gewertet werden - eher könnte man es andersherum deuten). Diese Art von Erinnerungskultur kommt schon in Deutschland nicht gut an - bei Völkern, die den Nationalsozialismus nicht verursacht haben und zum Spielball zwischen NS-Deutschland und Sowjetunuion wurden, erst recht nicht. Etwas weniger an selektivem Moralismus wäre angebracht.