Kommentar zum CSD: Mehr Politik und weniger Ikea, bitte!
Der CSD hat den politischen Anspruch verloren - und bedient nur noch Klischees.
F ür einen Moment hat es Judith Butler geschafft, die Schunkelstimmung zu stören. Die Philosophin trat beim CSD vor die feierseligen Massen - und erklärte detailliert, warum sie den ihr zugedachten Preis für Zivilcourage nicht annehmen wolle. Es war ein Reich-Ranicki-hafter Moment, als Butler auf Deutsch den CSD als kommerziell und oberflächlich schmähte. Und ähnlich wie beim von Ranicki abgewatschten Deutschen Fernsehpreis war Butlers CSD-Rede das Intelligenteste, was dort seit Jahren zu hören war.
Engelsflügel, nackte Hintern und Bratwurst - viel politischer Anspruch ist auf der Parade, die einst als Demo für Homo-Rechte begann, nicht zu spüren. Von Ikea bis CDU schmücken sich Firmen und Parteien mit den Federn der Toleranz. Ein billiges Manöver, warnte Butler: Man dürfe sich nicht vor den Karren von Organisationen spannen lassen, die "im Namen einer queeren Gemeinde" Kriege führten und Bündnisse eingingen, in denen Rassismus und Antisemitismus geduldet würden.
Dass die Rede an manchem Wagen nicht gut ankam, war Absicht. Kalkuliert war auch Butlers ausdrückliches Lob für die MacherInnen des politischeren Transgenialen CSD. Aber dass ihre Preis-Verweigerung von Laudatorin Renate Künast (Grüne) mit einem launigen "immer was zu kritisieren, die Judith" abgetan wurde, zeugt von Denkfaulheit.
Die muss sich auch der Moderator vorwerfen lassen, der eine Pro-Butler-Gruppe anging: Mit ihnen könne man eben nicht feiern. Dafür aber mit Schaulustigen, die sich von der schrillen Parade in ihren Homo-Klischees bestätigt fühlen dürfen. Butlers Kritik könnte für den CSD ein notwendiger Anstoß sein: Mehr Politik und weniger Ikea, bitte!
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Forscher über Einwanderungspolitik
„Migration gilt als Verliererthema“
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Abschied von der Realität
Im politischen Schnellkochtopf
Sauerland als Wahlwerbung
Seine Heimat
Russlands Angriffskrieg in der Ukraine
„Wir sind nur kleine Leute“
US-Außenpolitik
Transatlantische Scheidung