Kommentar zum CSD in Zagreb: Kroatien zivilisiert sich
Die Positionierung der sozialdemokratischen Regierung gegen Homophobie verändert die kroatische Gesellschaft. Sie weist den Mob in seine Schranken.
J e weiter man in den Süden des Balkan kommt, desto größer werden die Vorurteile gegenüber Lesben und Schwulen. In Sarajevo versuchten Islamisten vor zwei Jahren eine Ausstellung über Homosexualität (!) zu verhindern, in Belgrad schlugen Rechtsradikale und Fußballfans auf Gay-Demonstranten ein, in Kosovo ruft nur die Erwähnung gleichgeschlechtlicher Liebe abwehrendes, verklemmtes Lachen hervor. An ein öffentliches Auftreten der Homosexuellenbewegung ist dort überhaupt nicht zu denken.
Immerhin hat jetzt die neue sozialdemokratische Regierung Kroatiens in der südlichen dalmatinischen Hafenstadt Split ein klares Zeichen gesetzt. War es noch im letzten Jahr ein Mob von Tausenden von Menschen, der militant gegen den Gay Pride vorging, so verhinderte an diesem Wochenende ein großes Polizeiaufgebot die Mobilisierung dieser Leute.
Indem sich sechs Minister an die Spitze der Demonstration setzten, zeigten sie Flagge für ein europäisches und vor allem für ein aufgeschlossenes Kroatien. Es geht dabei nicht nur um Vorurteile gegenüber Homosexualität. Es geht bei diesem Kampf um Menschenrechte allgemein.
ist Südosteuropa-Korrespondent der taz.
Intoleranz gegenüber Minderheiten darf in Gesellschaften, die in das Europa der EU integriert werden wollen, nicht geduldet werden. Die kroatische Regierung will das europäische Gesicht des Landes stärken. Aber es geht ihr dabei nicht nur um ein taktisches Kalkül. Die jetzige Aussenministerin Vesna Pusic hat sich seit Jahrzehnten für den zivilgesellschaftlichen Wandel im Lande eingesetzt. Und wie das Beispiel Split zeigt, fallen die Proteste des nationalistisch-religiösen Lagers in sich zusammen, wenn Staatsvertreter sich klar gegen Diskriminierung positionieren.
Damit sind die gesellschaftlichen Vorurteile zwar immer noch nicht überwunden. Aber der Mob kann sich nur austoben, wenn er wie früher mit der klammheimlichen bis offenen Unterstützung durch den Staatsapparat rechnen kann. In Kroatien ist diese Kumpanei erst einmal beendet worden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen