Kommentar zu Polizei-Urteilen: Richter dürfen frei entscheiden
Ein Raub wird härter bestraft als ein Totschlag: Da kann doch was nicht stimmen - oder?
Die beiden Urteile in den aufsehenerregenden Polizistenprozessen der vergangenen Wochen passen zumindest auf den ersten Blick nicht wirklich zusammen. Fast fünf Jahre hinter Gitter für Raub und Demütigung, aber nur zwei Jahre für die tödlichen Schüsse in Schönfließ? Der Bauch sagt: Das geht doch gar nicht, wenn der Totschläger besser wegkommt als der Räuber. Dieses Gefühl aber ist falsch.
Denn jetzt den Richtern vorzuwerfen, mit ihren Urteilen aus dem Rahmen zu fallen, verkennt ein Grundprinzip des deutschen Rechtssystems: die richterliche Unabhängigkeit. Richter stehen bewusst nicht unter dem Zwang, sich mit anderen Urteilen vergleichen zu müssen. Ihre einzige Vorgabe ist der Strafrahmen, den das Strafgesetzbuch vorgibt. Und das sagt nun mal: mindestens drei Jahre für schweren Raub. Selbst für minderschwere Fälle sind bis zu zehn Jahre Haft möglich.
Gleiches gilt für den Schönfließ-Fall. Ein bis zehn Jahre Haft sind bei Totschlag in minderschwerem Fall möglich, als den das Gericht in Neuruppin am Samstag die tödlichen Schüsse eines Polizisten einordnete. Das Gericht orientierte sich am unteren Ende, entschied auf zwei Jahre - bei mehr wäre eine Bewährung nicht möglich gewesen. Das ist sein gutes Recht.
Denn das Korrektiv im deutschen Strafrecht ist nicht das Nachbargericht. Wer sich ungerecht behandelt fühlt, ob Verurteilter oder Staatsanwaltschaft, kann das Urteil in der nächsten Instanz überprüfen lassen. Das muss auch weiter der richtige Ort für Qualitätskontrolle in der Justiz sein - und nicht der Bauch mit seinem dumpfen Gefühl.
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