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Kommentar von Jürgen Gottschlichüber die Strategie des türkischen PräsidentenNach außen hart, nach innen konziliant

Erdoğan nutzt die Gelegenheit, um mehr Macht an sich zu ziehen

Während in Deutschland die Er­doğan-Anhänger die innenpolitischen Konflikte der Türkei auf die Straße tragen, sendet der türkische Präsident in der Heimat erste Entspannungssignale. Es scheint, als versuche er angesichts der Konflikte mit dem Ausland die Reihen zu Hause zu schließen. Er werde in der Türkei alle Beleidigungsklagen gegen Politiker, Journalisten Schriftsteller und sonstige Kritiker zurückziehen, erklärte er während einer Großveranstaltung vor zwei Tagen.

Ist das der Zynismus eines Diktators, der gleichzeitig Zehntausende ins Gefängnis steckt und in die Arbeitslosigkeit entlässt, oder tatsächlich ein Signal dafür, dass Erdoğan bereit sein könnte, die tiefen Gräben innerhalb der türkischen Gesellschaft wieder zuzuschütten? Es hat außer dieser Ankündigung noch andere Signale gegeben, die darauf hindeuten könnten.

Erdoğan erlaubte eine Großdemons­tration der sozialdemokratischen CHP auf dem seit Jahren für Demos verbotenem Taksim-Platz in Istanbul und gestern eine weitere CHP-Demo in Izmir. Und während der allerorten inszenierten Pro-Erdoğan-Kundgebungen werden immer wieder auch Atatürk-Bilder geschwenkt und kemalistische Hymnen angestimmt. Außerdem sind die beiden Hürriyet-Journalisten Bülent Mumay und Arda Akın, die beide zum säkularen Lager zählen, aus der Haft entlassen worden.

Versucht sich Erdoğan also wirklich an einem neuen innenpolitischen Konsens? Ja und nein. Er geht im Moment tatsächlich ein wenig auf das traditionelle kemalistische Lager zu, und die meisten Verhaftungen, Entlassungen und Schließungen von Medienanstalten zielen erst einmal nur auf die Gülen-Bewegung im weitesten Sinne. Doch gleichzeitig nutzt er die Postputsch-Situation, um immer mehr Macht an sich zu ziehen.

Das Militär und die Geheimdienste will er per Verfassungsänderung, seiner direkten Kontrolle unterstellen, und mit dem Ausnahmezustand, der wohl verlängert wird, baut er seine Macht aus, um per Dekret allein zu regieren. Bei einem Treffen mit der Opposition wurde beschlossen, einen Neustart in der Verfassungsdebatte zu wagen, doch an Erdoğans Ziel einer Präsidialverfassung hat sich nichts geändert. Und in der wichtigen Kurdenfrage bleibt der Präsident so unversöhnlich wie in den vergangenen zwölf Monaten.

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