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Kommentar von Judith Poppe zur Verabschiedung des Regierungshaushalts in IsraelKompromissbereit bis an die Schmerzgrenze

Als im Juni die Regierung mit den wohl meisten Sollbruchstellen in der israelischen Geschichte vereidigt wurde, haben sich vermutlich selbst die Kabinettsmitglieder die Frage gestellt, ob das gut gehen kann. Werden sich Siedlungsfanatiker, liberale Besatzungsgegner und konservative arabische Israelis der islamischen Partei Ra’am auf überhaupt nur eine Sache einigen können?

Den großen Lackmustest hat die Regierung nun bestanden. Am frühen Donnerstagmorgen wurde der Haushalt 2021 verabschiedet, zum ersten Mal seit 2018. Der Schritt zeigt: Die Regierung ist stabiler als erwartet.

Es könnte daran liegen, dass sich der rechte Hardliner Naftali Bennett überraschend staatsmännisch und umgänglich zeigt. Es könnte auch auf den guten Willen sämtlicher beteiligter Fraktionen zurückzuführen sein, möglichst konstruktiv zusammenzuarbeiten, wohl wissend, dass sie alle jeweils ihr eigenes Interesse am Weiterbestehen dieser Koalition haben.

Man kann sich über die Kooperation der Regierung freuen. Einerseits. Der Staatshaushalt war überfällig und dringend nötig, um den krisengebeutelten Staat am Laufen zu halten.

Die relative Stabilität geht allerdings auf Kosten der Standfestigkeit der linken Parteien – und zwar an Punkten, an denen es wirklich schmerzt. Als vor drei Wochen eine Entscheidung der Jerusalemer Stadtverwaltung dafür sorgte, dass der Siedlungsbau rund um Ostjerusalem in großen Schritten voranschreiten kann und damit eine Zweitstaatenlösung vollends utopisch zu werden drohte, sprachen Meretz und die Arbeitspartei kurz von einer roten Linie. Passiert ist nichts. Als Verteidigungsminister Benny Gantz vor zwei Wochen sechs palästinensische Menschenrechtsorganisationen zu terroristischen Organisationen erklärte und damit einen internationalen Aufruhr verursachte, waren die Kabinettsmitglieder der linken Fraktionen erzürnt. Über Lippenbekenntnisse ging ihre Empörung allerdings dann doch nicht hinaus.

Sie suchen sich die Schlachten aus, die sie gewinnen können, könnte man einräumen. Lieber ein bisschen was bewegen als eine rechte Regierung. Tatsächlich tut sich mit der Präsenz der linken Parteien in der Knesset endlich etwas in Sachen Klimaschutz, und auch eine Krankenversicherung für Asylsuchende ist auf den Weg gebracht.

Kompromissbereitschaft ist ein hohes Gut. Doch zu erkennen, wann aus fairen Kompromissen faule werden, ist für eine solche Bereitschaft eben auch unerlässlich.

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