Kommentar von Benno Schirrmeister zur Suizidprävention: Eine Frage von Raum und Material
Vielfältig sind die Möglichkeiten, sich umzubringen. Und schwierig ist es, sie alle zu vereiteln. Dass sich aber, wie jetzt in Bremen, in einem eigens als Suizid-Präventionszelle eingerichtetem Haftraum, ein junger Mann tödlich stranguliert, ist mehr als bloß ein weiterer Beweis dafür, dass Videoüberwachung allein eigentlich vor gar nichts schützt.
Denn klar: Man verlässt sich leicht aufs technische Auge, vernachlässigt den direkten Kontakt – und wenn das Personal zu knapp ist, wächst die Gefahr, dass keiner in den entscheidenden mühsamen Minuten auf den Bildschirm schaut, während der sich ein Insasse erhängt. Andererseits ist aber gerade diese Art der Selbsttötung ein Problem der Raumgestaltung, also eines, das über Architektur und Material zu lösen wäre. Das wäre auch geboten, denn sie ist verbreitet in Gefängnissen, egal, ob mithilfe von Laken, Kordeln aus der Jogginghose oder T-Shirts.
Wenn eine eigens beim 2012 abgeschlossenen Umbau zur Suizidprävention eingerichtete Zelle dennoch Möglichkeiten vorhält, eine wie auch immer geartete Kordel so stabil zu befestigen, dass sie der Zugkraft eines ausgewachsenen Mannes widersteht, ist bei der Planung etwas schiefgelaufen. Dass Bremen dabei den Empfehlungen der in Celle angesiedelten Bundesarbeitsgemeinschaft Suizidprävention für den Justizvollzug gefolgt ist, entlastet zwar die Anstalt im Stadtteil Oslebshausen, macht die Sache aber nicht besser. Wer sich deren Leitfaden anschaut, wird feststellen: Er ist allzu einseitig aus Psychologensicht verfasst und die thematisiert vor allem stimmungsaufhellende und kommunikative bauliche Aspekte.
Diese Perspektive ist berechtigt – solange sie die praktischen, materiellen Lösungswege nicht übersieht. Den Verdacht, das getan zu haben, hat nicht zuletzt Arbeitsgruppen-Leiterin Katharina Bennefeld-Kersten selbst genährt. So erteilte die frühere Direktorin des Celler Hochsicherheitsgefängnisses vergangenes Jahr den Überlegungen eine Absage, suizidgefährdeten Häftlingen spezielle Anstaltskleidung zu verordnen. Da wäre sie lieber „vorsichtig“, so Bennefeld-Kersten: „Da habe ich immer die Krankenhaushemdchen vor mir. Schrecklich.“
Okay, klar, Krankenhäuser sind schrecklich. Aber wäre es nicht noch einen Tick schrecklicher, wenn sich jemand aus seiner eigenen Kleidung einen Strick dreht und sich mit diesem tötet? Sicher: Suizidprävention und persönliche Rechte des Gefangenen geraten hier in Konflikt. Der ist abzuwägen. Und wie wirksam Papierkleidung schützt, auch darüber lässt sich streiten.
Kleidung und Raum aber sind die ersten Faktoren, über die zu diskutieren ist: Denn, wer einen Menschen inhaftiert, von dem auszugehen ist, dass er sich erhängen will, ist dafür verantwortlich, dass das nicht passiert. Er darf ihm keinen Strick geben. Und er muss dafür sorgen, dass der Häftling in seiner Zelle keinen Haken findet, um etwas daran festzuknoten. Und auch keine Gitter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen