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Kommentar verweigerte IntegrationKinder dritter Klasse

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Ob die Flüchtlingskinder in Horst die Schule besuchen oder nicht, ist in der selbst ernannten "Bildungsrepublik Deutschland" nicht wichtig.

D en Umgang mit "Schulabsentismus" hat die Hamburger Bildungsbehörde in einer 40-seitigen Handreichung für LehrerInnen geregelt. Der "Absentismus" ist "Ausdruck einer sozialen Gefährdung von Kindern und Jugendlichen", heißt es da. Er sei deshalb "unnachgiebig zu verhindern" und "konsequent zu ahnden". Die dazu vorgesehenen "Eskalationsstufen" - bis hin zu Zwangsmaßnahmen - beginnen laut Vorschrift "spätestens unmittelbar nach der ersten großen Pause" eines Fehltages.

Für die Flüchtlingskinder in Horst gelten andere Regeln. Ob sie eine Schule besuchen oder nicht, das ist in der selbst ernannten "Bildungsrepublik Deutschland" nicht wichtig. Denn sie gehören nach Auffassung der herrschenden Politik gar nicht dazu. Und das soll möglichst so bleiben.

Die Hamburger SPD redet viel von "Teilhabe", "Zukunftsinvestition" und "Kraftanstrengungen", wenn es um Bildung geht. In die Zukunft von Flüchtlingskindern investiert sie nicht.

Es ist nicht nachvollziehbar, dass es bei gutem Willen in einer der reichsten Städte Europas nicht möglich sein soll, Wohnraum für einige Hundert Familien zu finden oder zu schaffen, die in der Nähe einer Schule liegen. Keine äußere Notwendigkeit zwingt den Senat, sie im übernächsten Bundesland ins Nirgendwo auszuquartieren: Es ist der Wille, um die Unerwünschten herum so viele Barrieren zu ziehen wie möglich.

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Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
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6 Kommentare

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  • G
    gerd.

    Meine Zustimmung zu Lothar, dass die politische Linke den Schulzwang nicht unhinterfragt stützen sollte.

     

    Wenn schon weder die Liberalen auf Freiheit noch die Konservativen auf Eigenverantwortung anspringen, wäre es umso wünschenswerter, dass die Linke sich dem Thema der Zwangsbeschulung aus sozialer Verantwortung heraus annimmt. Letztlich ist dies strukturell nicht weit vom Militärzwangsdienst entfernt, unterliegt undemokratischen Strukturen, wurde international mehrfach angemahnt und ist mit unserem Grundgesetz nur fragwürdig vereinbar.

    Dass sich Teile des Linksaußenbereiches staatliche Steuerungsorgane wünschen, darf nicht in Frage stellen, dass ein Ziel der Linken die Emanzipation von Herrschaftsstrukturen ist und bleiben sollte.

     

    Konkret ist nicht die Schule an sich das Problem, jedoch der Zwang. Wenn wir dahin kämen, Kindern die Freiheit zu bieten, sich für ein schulisches, außerschulisches oder familiäres Lernumfeld zu entscheiden, ohne dass dies von Eltern oder Staat konterkariert wird, böte es den Schulen gleichzeitig Pflicht und Chance, ein angemessenes und effektives Lernumfeld zu erfinden.

  • B
    Boiteltoifel

    @ Lothar

    Lieber Lothar,

     

    "Freiheitsfeindlicher Schulzwang" sollte echt abgeschafft werden! Schon wären die Schulen leer, der Staat könnte endlich die unnötigen Kosten für Schulen, deren Unterhaltung und Lehrpersonal sparen. Da eh immer mehr Unterricht aussfällt, wäre dies der letzte konsequente Schritt. Das gesparte Geld flösse der Rentenkasse zu.

     

    Für all die Arbeiten, die nicht mehr durch in Deutschland lebenden Nachwuchs erlenrt und ausgeübt werden könnten (ja, ja, Kinder werden mal erwachsen und sollen dann berufstätig werden, damit Staat und Wirschaft weiter funktionieren), fänden sich in den künftigen EU-Beitrittländern Tunesien, Angola und Nepal bestimmt genug arbeitswillige Einwanderer, die alle nur auf zehn Jahre befristet hier leben dürften.

     

    Also entweder habe ich Deinen satirischen Leserbrief nicht begriffen oder Du hast den Schuß nicht gehört.

    Es grüßt

    Der Boiteltoifel

  • L
    Lothar

    Das klingt ja fast so, als fändet Ihr die "Eskalationsstufen" gegen Kinder, die nicht zur Schule wollen, ganz toll. Den staatlichen Willen, Schwänzen "konsequent zu ahnden" bewundert die taz anscheinend. Wie kann man so unkritisch sein? Dass Ihr keine linke Zeitung mehr seid, ist ja schon lange klar, an solchen Details wird das nochmal deutlich, denn links denken bedeutet immer auch die Fähigkeit kritisch in zwei Richtungen zugleich zu denken, das hat etwas mit Dialektik zu tun. Integration von Flüchtlingskindern, ja! Zugleich gilt aber: weg mit dem freiheitsfeindlichen Schulzwang! (der in der heutigen Form übrigens von 1938 stammt...)

  • G
    gerd.

    Meine Zustimmung zu Lothar, dass die politische Linke den Schulzwang nicht unhinterfragt stützen sollte.

     

    Wenn schon weder die Liberalen auf Freiheit noch die Konservativen auf Eigenverantwortung anspringen, wäre es umso wünschenswerter, dass die Linke sich dem Thema der Zwangsbeschulung aus sozialer Verantwortung heraus annimmt. Letztlich ist dies strukturell nicht weit vom Militärzwangsdienst entfernt, unterliegt undemokratischen Strukturen, wurde international mehrfach angemahnt und ist mit unserem Grundgesetz nur fragwürdig vereinbar.

    Dass sich Teile des Linksaußenbereiches staatliche Steuerungsorgane wünschen, darf nicht in Frage stellen, dass ein Ziel der Linken die Emanzipation von Herrschaftsstrukturen ist und bleiben sollte.

     

    Konkret ist nicht die Schule an sich das Problem, jedoch der Zwang. Wenn wir dahin kämen, Kindern die Freiheit zu bieten, sich für ein schulisches, außerschulisches oder familiäres Lernumfeld zu entscheiden, ohne dass dies von Eltern oder Staat konterkariert wird, böte es den Schulen gleichzeitig Pflicht und Chance, ein angemessenes und effektives Lernumfeld zu erfinden.

  • B
    Boiteltoifel

    @ Lothar

    Lieber Lothar,

     

    "Freiheitsfeindlicher Schulzwang" sollte echt abgeschafft werden! Schon wären die Schulen leer, der Staat könnte endlich die unnötigen Kosten für Schulen, deren Unterhaltung und Lehrpersonal sparen. Da eh immer mehr Unterricht aussfällt, wäre dies der letzte konsequente Schritt. Das gesparte Geld flösse der Rentenkasse zu.

     

    Für all die Arbeiten, die nicht mehr durch in Deutschland lebenden Nachwuchs erlenrt und ausgeübt werden könnten (ja, ja, Kinder werden mal erwachsen und sollen dann berufstätig werden, damit Staat und Wirschaft weiter funktionieren), fänden sich in den künftigen EU-Beitrittländern Tunesien, Angola und Nepal bestimmt genug arbeitswillige Einwanderer, die alle nur auf zehn Jahre befristet hier leben dürften.

     

    Also entweder habe ich Deinen satirischen Leserbrief nicht begriffen oder Du hast den Schuß nicht gehört.

    Es grüßt

    Der Boiteltoifel

  • L
    Lothar

    Das klingt ja fast so, als fändet Ihr die "Eskalationsstufen" gegen Kinder, die nicht zur Schule wollen, ganz toll. Den staatlichen Willen, Schwänzen "konsequent zu ahnden" bewundert die taz anscheinend. Wie kann man so unkritisch sein? Dass Ihr keine linke Zeitung mehr seid, ist ja schon lange klar, an solchen Details wird das nochmal deutlich, denn links denken bedeutet immer auch die Fähigkeit kritisch in zwei Richtungen zugleich zu denken, das hat etwas mit Dialektik zu tun. Integration von Flüchtlingskindern, ja! Zugleich gilt aber: weg mit dem freiheitsfeindlichen Schulzwang! (der in der heutigen Form übrigens von 1938 stammt...)