Kommentar soziale Unruhen: Der deutsche Revoluzzer
Die Bundesregierung sollte Lasten auf die Schultern derer legen, die von den Ursachen dieser Krise profitieren. Tut sie es nicht, wird es auch hierzulande mit dem sozialen Frieden vorbei sein.
Die deutsche Protestkultur wird gerne mit dem Sprichwort bedacht: Bevor ein deutscher Revolutionär den Bahnhof besetzt, kauft er sich eine Fahrkarte. Nun stürzt auch hierzulande die Wirtschaft dramatisch ab - von Minus 6 Prozent gehen die Wirtschaftsinstitute aus. Beängstigend ist dabei nicht nur der tiefe Fall der deutschen Wirtschaft, sondern auch die Dauer: Kaum einer glaubt noch, dass vor 2010 die Talsohle erreicht ist. Massenentlassungen stehen an. Doch während vor französischen Werkstoren die Reifen brennen und Belegschaften die Führungskräfte in Geisel nehmen, bleibt es in Deutschland ruhig - noch.
Das hat Gründe: Die deutsche Wirtschaft ist nach wie vor von mittelständischen Unternehmen geprägt; die Shareholder-Doktrin der 30 Dax-Unternehmen konnte sich nicht überall durchsetzen. In Zeiten wie diese rücken Belegschaft und Unternehmer eher zusammen, um Wege aus der Krise zu finden. Lust auf großen Klassenkampf hat kaum einer.
Dass DGB-Chef Michael Sommer nun vor sozialen Unruhen warnt, hat wohl auch eher mit einer strategisch gesetzten Drohkulisse für die Verhandlungen beim Konjunkturgipfel zu tun, als dass es an der Gewerkschaftsbasis tatsächlich brodelt.
Bis zu den Bundestagswahlen wird die Große Koalition alles darauf setzten, dass es ruhig bleibt. Antworten auf die Frage, wie die Konjunkturpakete, vor allem aber auch die Milliarden Euro zur Rettung der Banken finanziert werden sollen, werden beide Volksparteien meiden. Doch spätestestens wenn die Wahlen gelaufen sind, wird es in Deutschland einen brutalen Verteilungskampf geben.
Die Regierung sollte bereits jetzt die Lasten auf die Schultern derer legen, die von den Ursachen dieser Krise massiv profitiert haben. Tut sie es nicht, wird es auch hierzulande mit dem sozialen Frieden vorbei sein.
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