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Kommentar privat versicherte ArbeitsloseAuf Kosten des Sozialstaates

Heike Haarhoff
Kommentar von Heike Haarhoff

Privat versicherte Hartz-IV-Empfänger sind der Regierung mehr wert wie gesetzlich versicherte. Diese Ungerechtigkeit hat das Arbeitsministerium jetzt sogar zementiert.

P rivat versicherte Hartz-IV-Empfänger sind der Regierung mehr als doppelt so viel wert wie gesetzlich versicherte Langzeitarbeitslose. Diese Ungerechtigkeit hat jetzt das Arbeitsministerium zementiert: Die Jobcenter übernehmen rückwirkend ab Januar die vollen Versicherungsbeiträge, die die private Krankenversicherung von Arbeitslosengeld-II-Empfängern verlangt: 287,50 Euro monatlich. Für gesetzlich Versicherte dagegen gibt es bloß 131 Euro.

Sicher: Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts war diese Regelung zu erwarten. Niemand kann wollen, dass privat versicherte Arbeitslose einen Schuldenberg anhäufen, weil sie einerseits ihre private Krankenversicherung nicht bezahlen können, andererseits aber auch keine Möglichkeit haben, in die gesetzliche Krankenversicherung zurückzuwechseln.

Betroffen von der neuen Regelung sind insgesamt 6.000 Menschen; die jährlichen Zusatzausgaben für die Bundesarbeitsagentur belaufen sich auf 11 Millionen Euro. Gemessen an den Milliardenbeträgen, die im Gesundheitssystem bewegt werden, muten diese Zahlen beinahe niedlich an.

Bild: taz

HEIKE HAARHOFF ist taz-Redakteurin im Ressort Innenpolitik.

Trotzdem ist es keineswegs vernachlässigenswert, sondern tatsächlich empörend, dass es offenbar keine gesetzliche Handhabe gibt, die gewinnorientiert wirtschaftende private Krankenversicherung zu einem internen Sozialausgleich und damit zur Kostenübernahme zu zwingen.

Wer das ändern will, der muss das Zwei-Klassen-Gesundheitssystem in Deutschland abschaffen. Von allein jedenfalls dürfte die private Krankenversicherung kaum darauf kommen, plötzlich Solidarität zwischen Arm und Reich zu praktizieren - das widerspräche ihrem Geschäftsmodell. 2013 ist Wahljahr. Eine gute Gelegenheit für den Systemwechsel.

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Heike Haarhoff
Redakteurin im Inlands- und im Rechercheressort
Heike Haarhoff beschäftigt sich mit Gesundheitspolitik und Medizinthemen. Nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr in einem Kinderheim bei Paris ab 1989 Studium der Journalistik und Politikwissenschaften an den Universitäten Dortmund und Marseille, Volontariat beim Hellweger Anzeiger in Unna. Praktika bei dpa, AFP, Westfälische Rundschau, Neue Rhein Zeitung, Lyon Figaro, Radio Monte Carlo, Midi Libre. Bei der taz ab 1995 Redakteurin für Stadtentwicklung in Hamburg, 1998 Landeskorrespondentin für Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern und von 1999 bis 2010 politische Reporterin. Rechercheaufenthalte in Chile (IJP) und den USA (John McCloy Fellowship), als Stipendiatin der Fazit-Stiftung neun Monate Schülerin der Fondation Journalistes en Europe (Paris). Ausgezeichnet mit dem Journalistenpreis der Bundesarchitektenkammer (2001), dem Frans-Vink-Preis für Journalismus in Europa (2002) und dem Wächterpreis der deutschen Tagespresse (2013). Derzeit Teilnehmerin am Journalistenkolleg "Tauchgänge in die Wissenschaft" der Robert Bosch Stiftung und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.

13 Kommentare

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  • H
    HamburgerX

    Die Lösung ist klar: Hartz4-Empfänger müssen in die Gesetzliche wechseln dürfen. Der Einnahmeverlust für die Privaten ist hinzunehmen.

  • H
    hto

    "2013 ist Wahljahr. Eine gute Gelegenheit für den Systemwechsel."

     

    - wenn man immernoch an die "Demokratie" durch Kreuzchen auf dem Blankoscheck glaubt, bzw. wenn man auch weiterhin, in gutbürgerlich-gebildeter Suppenkaspermentalität auf Sündenbocksuche, in "treuhänderischer" Verwaltung von leichtfertiger Übertragung von Verantwortung funktionieren will, und Systeme wie "frisch gewaschene" Wäsche wechselt!?

  • G
    Grünschnabel

    ...in einem Staat, in dem die Abzocker zusammen mit einer Verbrecherregierung ihre Gesetze selber machen, ist nichts anderes zu erwarten....schön lustig wirds, wenn das gesetzliche System von diesen Verbrechern im Bundestag kaputt gemacht ist und das ganze Geld den Aktionären der privaten zur Verfügung stehen wird-... dann haben wir auch noch Harz 4 bei den Ärzten

     

    GUTE NACHT DEUTSCHLAND, ein zunehmend verblödendes Volk, das offensichtlich nur noch Castingshows und Glamourhochzeiten geistig verarbeiten kann.....

  • T
    treniern

    Immerhin etwas. Studenten über 30 sind dem Staat noch mal die Hälfte wert: mit ca. 70 Euro wird die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenkasse über das BafÖG-Geld unterstützt. Zieht man vom Höchstsatz (ca. 650 Euro) die Wohnkosten (ca. 300 Euro) und Krankenkassenbeiträge (ca. 150 Euro) ab, hat der Durchschnittsstudent über 30 knapp 200 Euro im Monat zum Leben. Und da sind weder Semestergebühren, Schreibmaterialien oder andere Versicherungsbeiträge bezahlt. Wo lag nochmal das Existenzminimum?

  • H
    hto

    "Über privat versicherte Arbeitslose" - Es ist ein Haar gefunden, schon beginnt die Haarspalterei.

  • PA
    Peter A. Weber

    Diese Aussage kann man so nicht stehen lassen:

     

    von keetenheuve:

    Die GKV finanziert sich doch schon lange auf "Kosten des Sozialstaates".

     

    Die GKV finanziert sich nicht auf Kosten des Sozialstaates, sondern sie ist wesentlicher Bestandteil eines sozialen und solidarischen Staates. Ein Staat, der die Vermögenden bevorzugt und die sozialen Komponenten abbaut, demontiert sich selbst und schafft an anderer Stelle Kosten, die die Aufwendungen für ein solidarisches Miteinander um ein vielfaches übersteigen.

     

    Und im übrigen leben doch diejenigen auf Kosten der Allgemeinheit, die trotz hoher Einnahmen Renten- und Sozialbeiträge nur bis zu einer viel zu niedrig angesetzten Beitragsbemessungsgrenze zahlen. Darüber hinaus muß die Einnahmenbasis der Sozial- und Rentenkassen dadurch verbreitert werden, daß sämtliche Berufsgruppen und Betroffene sowie alle Einkommensarten in einem einheitlichen System herangezogen werden.

     

    Damit meine ich aber keinesfalls die sog. Kopfpauschale sondern das genaue Gegenteil davon - nämlich die Beteiligung eines jeden nach seiner finanziellen Leistungsfähigkeit.

  • F
    FAXENDICKE

    Ich fordere die längst überfällige BÜRGERVERSICHERUNG und zwar für alle Säulen des sozialen Sicherungssystems. Ausserdem fordere ich die Rückkehr zur paritätischen Belastung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber,

    Privat gerne für Extrawürstchen die die GKV ohnehin nicht zahlt.

  • H
    Hannes

    Dieser Kommentar verdreht auch etwas die Sicht: Die 6.000 privat-versicherten Menschen sind systemimmanent bessergestellt. Das liegt daran, dass es überhaupt private Krankenversicherungen in Deutschland gibt, das liegt weder an den Versicherten, noch an Hartz-IV oder der Arbeitslosigkeit.

    Der Punkt ist doch einfach: Es gibt keine Discounttarife für soziale Sicherheit. Und Hartz-IV ist ein fehlerhaftes Gesetz. Die Menschen haben ja auch nicht aus Snobismus geklagt, sondern bei ihnen haben sich in rasanter Weise Schulden aufgetürmt.

    Deswegen hat jemand geklagt.

    Und bei 6000 Menschen frage ich mich, ob es der Debatte nützt, daraus eine allgemeine Debatte über Hartz, Krankenversicherung und Arbeitslosigkeit abzuleiten.

    Die Frage ist ja auch, wie die Krankenkassen mit ihren Geldern umgehen? Wie die Ärzte mit den Patienten umgehen? Bei einer alternden Bevölkerung wird das Thema Gesundheitsversorgung eine Herausforderung werden. Andererseits debattierte der Bundestag bereits Mitte der 1970er Jahre über die nachlassenden Geburten und dem damit einhergehenden demographischen Veränderungen.

    Das ist alles nicht neu.

    Was ich befürchte, ist, dass es gegen die Arbeitslosen und Armen geht. Die Zahlen kann man sehr schön manipulativ benutzen. Natürlich kommen die Krankenkassen, die Ärzte, die Fachärzte, die Krankenhäuser, die Labors, die Augenärzte, die Krankenschwester, die Pfleger, die Apotheker und die Leiter von Schwesternstiften und überhaupt kommen sie alle nicht mit ihrem Geld. Und alle haben auch ein klares Ziel: Mehr Geld!

    Und dem schließe ich mich gerne an. Es soll inzwischen Ärzte geben, die weder Porsche, noch S-Klasse bezahlen können, einige haben nicht mal mehr ein Haus in der Schweiz und manch Angesteller eines Krankenhauses hat nur eine Drei-Zimmer-Wohnung.

    Der Zahnarzt meines Vater sagt: "Wenn ein Arzt mit 3000 Netto zufrieden ist, kann er mit Kassenleistungen prima leben. Aber das sind meine Kollegen leider nicht."

  • MN
    Mein Name ist Legion

    Als ob Ungleichbehandlung im Namen der Gleichheit im SGB etwas Neues wäre (Man denke nur an die KdU selbstgenutzten Immobilieneigentums). Das Ergebnis ist eine riesige Umverteilung von unten nach oben, ganz im Sinne der seinerzeit herrschenden Schröder-Clement-Bande und ihrer Helfershelfer aus den bekannten politischen Lagern.

     

    Warum setzen sich gesetzliche Krankenkasse nicht einfach zur Wehr mit Exklusivtarifen für die von H.IV Befallenen (und nur für die) in exakt der Höhe der Privatiers-Policen?

     

    Auch das nur ein Lehrstück zu einem Teilaspekt des Themas "Die derzeitige Politik in der BRD will Bessersituierte weiter von der gemeinsam finanzierten Daseinsvorsorge freikaufen lassen".

  • K
    keetenheuve

    Die GKV finanziert sich doch schon lange auf "Kosten des Sozialstaates". Wer zahlt denn die jährlich zunehmenden Zuschüsse, ohne die die GKV schon lange nicht mehr lebensfähig wäre? Schließlich sind anders als in der PKV dort alle möglichen "umsonst" mitversichert (Familienmitglieder etc.). Das ist die Gesamtheit der (ehrlichen) Steuerzahler, also alle diejenigen, die den "Sozialstaat" tragen. Konsequent wäre daher einzig und allein das als "Kopfpauschale" diffamierte Prämiensystem.

  • M
    Max

    Jaja, das klappt bestimmt mit Wahljahr.

     

    Hat man ja letztes Mal gesehen:

    Gepunktet haben natürlich die Parteien, die mit Bürgerversicherung geworben haben und nicht diejenigen, die mit der Kopfpauschale geworben haben.

     

    Nur beim Halsaufreißen, dass die armen gesetzlich Versicherten die Zeche zahlen sind dann alle Nicht-Wähler und Kopfpauschalenpartein-Wähler sofort wieder wie der Wind mit dabei.

     

    Würg.

  • A
    Andi

    Was ist eigentlich mit dem Gleichheitsgrundsatz? Wurde gegen das Zweiklassensystem schonmal vor dem Verfassungsgericht geklagt? Und wie argumentieren die Richter daß hier der Gleichheitsgrundsatz nicht gilt?

  • P
    Peter

    Die Regierung hat bei der GKV die Möglichkeit die Kosten für Hartz4-Empfänger auf einen beliebigen Wert von 130 Euro, der die Kosten von 280 Euro nicht deckt, festzulegen. Den Rest soll die Versicherungsgemeinschaft tragen.

     

    Bei der PKV fallen Kosten von 576 Euro für einen Hartz4-Empfänger im Basistarif an. Der Beitrag wurde auch hier zur Hälfte auf die Versicherungsgemeinschaft der PKV umgelegt. Für den Rest hat die große Koalition einfach eine gesetzliche Regelung "vergessen", so dass der Gesetzgeber zum wiederholten Male von den Bundesgerichten korrigiert werden musste.

     

    Das hat scheinbar aber alles System, um die Steuern nicht erhöhen zu müssen. Die Finanzierung der Grundversorgung ist eine Aufgabe der Allgemeinheit und damit aller Steuerzahler, weil hier auch alle Einkommen berücksichtigt werden.

     

    Allerdings werden vorzugsweise Versichertengemeinschaften, bei denen z.B. Vermögenseinkünfte keine Rolle spielen, mit dieser Aufgabe betraut, sei es die Krankenversicherung oder die Rentenversicherung.

     

    Die sinnvolle Lösung wäre daher ein Krankenversicherungsbeitrag von 280 Euro für einen Hartz4-Empfänger den der Bund aus Steuergeldern zahlt.