Kommentar grüne Richtungssuche: Das Problem mit dem Luxus
Stuttgart 21, Fukushima und Co. – die Wähler liefen 2011 scharenweise zu den Grünen. Doch die haben bisher keinen Umgang damit gefunden, dass sie gut ankommen.
B ERLIN taz Die Grünen haben ein Luxusproblem – deutlich sichtbar wird das in Berlin. Dort haben sie bei der Wahl im September ihr bisher bestes Ergebnis eingefahren. Seither zerlegen sie sich komplett. Die gestärkten Linken gegen die immer noch stärkeren Realos.
Von außen betrachtet wirkt der Streit um die Fraktionsspitze im Berliner Abgeordnetenhaus absurd, auch weil er von unnachgiebigen Dickköpfen auf beiden Seiten ausgetragen wird. Doch das Problem trifft die Grünen bundesweit: Sie haben keinen Umgang mit dem Luxus gefunden, beim Wähler gut anzukommen.
Dabei war das Jahr 2011 das Jahr der Grünen. Stuttgart 21, Fukushima, eine rumeiernde schwarz-gelbe Bundesregierung und eine verbraucht wirkende SPD-Opposition – da liefen die Wähler scharenweise zu den Grünen. Nicht nur in Umfragen. In Baden-Württemberg fiel ihnen der erste Ministerpräsidentenposten quasi in den Schoß, in Rheinland-Pfalz die Regierungsbeteiligung, in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern gelang der Einzug ins Parlament.
ist Ressortleiter der Berlin-Redaktion der taz.
Nur in Berlin lief es anders. Beflügelt durch die Umfragen, hatten die Grünen erstmals schon im Wahlkampf auf Sieg gesetzt, den Anspruch auf die Macht erhoben, sich als Volkspartei versucht - und sich verhoben. Es ist ihnen nicht gelungen, dem linksgrün denkenden Teil der Basis zu erklären, warum eine Öffnung hin zu den Konservativen gut sein soll. Mehrheiten in der Mitte sehen attraktiv aus, sind aber ohne klaren grünen Akzent wertlos.
Beim Bundesparteitag am Wochenende haben die Grünen ein weiteres Luxusproblem. Es geht um die Reichensteuer. Und damit um die Frage: Wie viel linke Politik ist in einer auf breite Schichten schielenden Partei verträglich? Die Antwort ist überfällig. Vielleicht aber bald schon überflüssig. Das Jahr 2011 geht zu Ende. Der grüne Boom in den Umfragen auch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört