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Kommentar griechisches ReferendumFreiwillig auf dem Hochseil

Kommentar von Niels Kadritzke

Nicht einmal Papandreous engste Mitarbeiter können sagen, warum ihr Chef nun auf eine Volksbefragung setzt. Schließlich hat er viel zu verlieren und wenig zu gewinnen.

A uf einem Hochseil kann man sich den bedächtigen Giorgos Papandreu nur schwer vorstellen. Aber dort steht er jetzt, und das aus eigenem Entschluss. Die Ankündigung des griechischen Ministerpräsidenten, ein Referendum über den von der EU beschlossenen Schuldenschnitt anzusetzen, hat alle überrascht: seine eigene Partei, innenpolitische Gegenspieler, die EU-Partner und die internationale Öffentlichkeit.

Nicht einmal Papandreous engste Mitarbeiter können sagen, warum ihr Chef nun auf eine Volksbefragung setzt. Einigkeit herrscht dagegen darüber, dass der Schachzug hochriskant ist. Schließlich kann der Premier das Referendum verlieren. Und wenn er gewinnt, bleibt die Frage, was ihm dieser Sieg bringen würde.

Voraussagen, nach denen die griechischen Wähler den Schuldenschnitt ablehnen werden, sind freilich verfrüht. Die meisten wissen, dass ihr Staat ohne diese Maßnahme Mitte November bankrott gewesen wäre. Aber sie ahnen auch, dass der "Haircut" vom 26. Oktober sie nicht davor schützt, am Ende doch noch skalpiert zu werden. Und allen ist klar, dass die rigorose Sparpolitik weitergehen wird, die ihre Zukunftsperspektiven abwürgt.

NIELS KADRITZKE

ist Redakteur bei der deutschen Ausgabe von Le Monde Diplomatique.

Die Griechen sind aufgefordert, zwischen extremen Übeln zu entscheiden. Und es kann sein, dass sie sich dieser Zumutung verweigern. Nach Artikel 44 der Verfassung müssen bei einem Referendum 40 Prozent der Stimmberechtigen mitmachen. Bei den letzten Kommunalwahlen lag die Beteiligung nur knapp darüber.

Um die Wähler zu mobilisieren, muss Papandreou jetzt hervorheben, was der EU-Umschuldungsbeschluss den Griechen gebracht hat: die Zusage, dass ihr Land nicht aus der Eurozone ausgeschlossen wird. Die Rückkehr zur Drachme ist für zwei Drittel der Bürger ein Schreckensszenario. Aber: Auch eine Zustimmung beim Referendum bedeutet nicht, dass die Proteste gegen das Sparen aufhören. Der Hochseilakt des Premiers wird also auch im Fall seines Sieges weitergehen.

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4 Kommentare

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  • I
    Iannis

    Nach der Befragung weiß er wenigstens was Sache ist. Entweder das Volk stimmt mehrheitlich zu, dann ist klar, dass die Proteste vor dem Parlament von kleinen Interessengruppen inszeniert und gesteuert sind. Oder das Volk stimmt mehrheitlich dagegen, dann wird das ohnehin Unvermeidliche geschehen, GR wird die Tatsache endlich akzeptieren und von vorne anfangen können, ohne EU, ohne Euro und aus eigener Kraft, so wie das die Argentinier und die Isländer vor ihnen auch schon geschafft haben!

  • HE
    Hella Engel

    Papandreous war auf dem Hochseil. Jetzt ist er auf den Boden zurückgekehrt. Das Volk zu befragen ist genau das richtige. Ich kann die ganze Aufregung darüber nicht verstehen. Anscheinend ist immer noch nicht bekannt, in welcher Situation wir uns alle befinden.

    Die Leute gehen reihenweise auf die Straße, in der ganzen Welt, weil sie nicht mehr befragt werden.

    Papandreou stellt damit nur klar, was los ist.

    In einem Monat hätte Merkel spätestens den nächsten Marathon gehabt, weil dann der nächste Teil der Wahrheit, sprich totaler Schuldenschnitt auf dem Programm gestanden hätte. Ich hab Probleme, dieses ganze Theater noch mit anzusehen. Es ist vorbei mit unserem Wirtschaftssystem. "Und das ist gut so".

  • A
    Alex

    Ich finde Papandreous Vorgehen nur konsequent.

    Griechenland steht vor einer grundsätzlich schweren Bürde. Es ist leicht, dagegen zu protestieren, wenn man keine Konsequenzen tragen muss.

    Vielleicht ist es wirklich an der Zeit, die Bevölkerung zu fragen, ob sie für den "Blut und Eisen"-Pakt sind oder nicht, sie kennen die Alternativen.

    Entweder schmerzhaft sparen oder einen dritten Weg suchen?

    Jetzt muss auch die Opposition Gesicht zeigen - für oder gegen Europa?

     

    Die griechischen Wähler sind erwachsene Menschen, also sollte man sie auch zu solch wichtigen Entscheidungen fragen können.

  • F
    flippah

    ich finde das richtig. Erstens ist es eine Maßnahme, die so wichtig ist, dass ein Referendum sich einfach gehört. Zweitens würde sonst wahrscheinlich ein Generalstreik das Land lahmlegen. So gibt es zwei Möglichkeiten: Die Griechen nehmen die Maßnahmen an. Dann sinkt der Druck von der Straße und die Regierung ist so gestärkt, dass sie tatsächlich die nötigen Reformen durchsetzen kann. Oder die Griechen lehnen ab. Dann hat man genau die selbe Lähmung, die man sonst durch den Generalstreik ohnehin hätte. Es gibt also wenig zu verlieren und sehr viel zu gewinnen.