Kommentar Zugang zu Medizinstudium: Hausärzte statt Dr. House
Das Numerus-Clausus-Urteil soll mehr Menschen ein Medizinstudium ermöglichen. Und mit etwas Glück macht es die Branche menschlicher.
D ie Begeisterung über das Numerus-clausus-Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist verdächtig einhellig ausgefallen. Bundesärztekammer, Medizinstudierende, Wissenschaftsministerinnen – alle begrüßen die richterliche Entscheidung. Sie läuft darauf hinaus, dass die Zulassungsverfahren zum Medizinstudium etwas verändert werden müssen und die Studienplatzvergabe ein bisschen transparenter und vergleichbarer laufen soll.
Ob das am Ende bedeutet, dass auch Menschen mit einem 2,5er-Abi eine reelle Chance haben, Medizin zu studieren, und die angehende Ärzteschaft, die zu 70 Prozent aus Kindern von Akademikermüttern und/oder -vätern besteht, sozial weniger elitär zusammengesetzt ist, weiß natürlich noch niemand.
Die Freude über das Urteil verrät deshalb mehr über das Unbehagen aller Beteiligten hinsichtlich der derzeitigen Praxis. Bisher gilt im Wesentlichen: Wer in Deutschland Medizin studieren will, muss ein 1,0er-Abitur hinlegen oder jahrelang auf einen Studienplatz warten. Hochbegabung, Strebsamkeit oder Sitzfleisch sind also die wichtigsten Voraussetzungen für künftige Ärzte? Den hyperintelligenten, aber sozial inkompetente Dr. House mag man als Protagonisten in der gleichnamigen Serie toll finden. Aber würde man ihn wirklich als Hausarzt haben wollen?
Von ihrer Ärztin oder ihrem Arzt – egal ob in der Praxis oder im Krankenhaus – erwarten die meisten doch, dass sie auch den Menschen hinter dem Fall sehen und mitfühlen können.
Wenn die Universitäten und Bundesländer jetzt über veränderte Zulassungsverfahren zum Medizinstudium nachdenken, dann sollten sie sich deshalb nicht zuerst im Assessment-Center, sondern in den Kliniken umschauen. Es sollte gelten: Wer nach dem Abitur eine Ausbildung in der Pflege absolviert hat, rückt bei der Studienplatzvergabe ganz nach vorn. Damit ist noch nicht gesichert, dass die Bewerber das sechsjährige theoretisch geprägte Studium meistern und am Ende die Approbation erhalten. Doch wer drei Jahre auf einer Krankenstation oder im Rettungsdienst gearbeitet hat, weiß zumindest, worauf er oder sie sich menschlich einlässt. Zudem erdet das den Berufsstand: Wer wochenweise im Schichtdienst geschuftet hat, oft am Limit und mit einem für die harte Arbeit bescheidenen Gehalt, hat Kriterien wie Geld und Renommee zunächst einmal hintangestellt.
Dieses an der Praxis orientierte Auswahlprinzip lässt sich auch auf andere Studiengänge ausdehnen. Wer Lehrer oder Lehrerin werden will, sollte Kinder mögen – und das vorher unter Beweis stellen. Das wäre mal ganz was Neues.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid