Kommentar Wulff-Affäre: Wulffs letzte Chance
Natürlich ist wichtig, wie viel Wulff von den Umtrieben seines Ex-Sprechers wusste. Aber es gibt auch Gründe, seinen Rücktritt aufgrund seiner eigenen Taten zu fordern.
D as Pathos, mit dem in der Affäre Wulff die "Würde des Amtes" beschworen wird, geht längst an der Sache vorbei. Es steht viel mehr auf dem Spiel: nämlich der Grundsatz der politischen Verantwortung. Der ist auch für Leute wichtig, denen der Bundespräsident als Person und als Funktion herzlich gleichgültig ist. Christian Wulff gefährdet den demokratischen Konsens dieser Gesellschaft.
Die Liste derjenigen ist lang, die es ohne individuelle Schuld für richtig hielten, ihren Hut zu nehmen. 1978 trat Verteidigungsminister Georg Leber wegen einer illegalen Abhöraktion des Militärischen Abschirmdienstes zurück, von der er nichts gewusst hatte. Innenminister Rudolf Seiters zog 1993 dieselbe Konsequenz, als bei einem Polizeieinsatz in Bad Kleinen ein als Terrorist gesuchter Mann und ein Beamter ums Leben gekommen waren. Bundeskanzler Willy Brandt nahm 1974 seinen Abschied, nachdem einer seiner Mitarbeiter als DDR-Spion enttarnt worden war. Brandt konnte dafür gar nichts. Aber er übernahm die politische Verantwortung.
Natürlich ist es nicht unwichtig, wie viel Christian Wulff von den Umtrieben seines ehemaligen Sprechers wusste. Vorwürfe an dessen Adresse sind nachgewiesen, offen ist lediglich, ob die Tatbestände strafrechtlich relevant sind. Es ist Sache der Gerichte, das zu entscheiden. Sie müssen auch prüfen, ob der Bundespräsident gegen Gesetze verstoßen hat.
Aber das kann nicht das alleinige Kriterium dafür sein, ob ein Staatsoberhaupt im Amt bleiben sollte. Es gibt gute Gründe, den Rücktritt von Christian Wulff allein aufgrund dessen zu fordern, was er, nachweislich, selbst getan hat. Wenn er aber jetzt unter Hinweis auf seine politische Verantwortung zurücktritt, dann hat er der Gesellschaft einen Dienst erwiesen. Diese letzte Chance hat er noch.
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