Kommentar Wowereits Rücktritt: Und das ist auch gut so
Der Abgang war unvermeidlich. Lange schien es so, als spürte Wowereit nicht, dass seine Zeit vorrüber ist. Was bleibt? Eine zerstrittene Berliner SPD.
B erlin ohne Wowereit? Das ist, als würde man einen alten, stumpf gewordenen Sessel in den Sperrmüll bringen, den man früher sehr mochte. Irgendwie schade, aber unvermeidlich. Lange schien es so, als würde Wowereit, der Selbstverliebte, nicht merken, wie umfangreich die Liste seiner Niederlagen mittlerweile ist, wie aussichtslos eine Kandidatur 2016.
Dass er das Berliner Flughafenchaos lange kleinredete, zeigte, dass fehlte, was ihn populär gemacht hatte: Gespür für die Stadt.
2001 regierte er mit der Linkspartei und sparte energischer, als es die CDU je getan hätte. Ein offen schwuler Bürgermeister, der in der früheren Mauerstadt mit Postkommunisten ein Bündnis schloss: das passte zu Berlin als urbanem Labor.
Keiner im ansonsten kleinkarierten politischen Milieu Berlins verkörperte das Neue so wie Wowereit, der Wurschtigkeit, Hybris und Charme einmalig mischte. Die lässige Geste und das krasse Versagen lagen da dicht beieinander.
Zum Versagen gehört, dass die SPD wenig gegen die Schattenseite der Verwandlung Berlins in eine internationale Metropole tat. Investoren drängten rüde auf den Wohnungsmarkt. Stadtviertel wurden umgekrempelt. Mieten explodierten – der Senat nahm es achselzuckend hin. Dass Wowereit aus persönlichen Animositäten 2010 nicht mit den Grünen koalierte, sondern mit der CDU, steht auch auf der Sollseite.
Die SPD im Bund verliert mit Wowereit – nichts. Dass er medial als linker Frontmann oder sogar Kanzlerkandidatenkandidat gehandelt wurde, war ein doppeltes Missverständnis: Sonderlich links war er nie, und für die Bundespolitik fehlten Ehrgeiz, Format, Intellektualität.
Der Rücktritt nun ist rational – das Beste, was Wowereit noch tun konnte. Er verschafft der in Clans gespaltenen Berliner SPD Zeit, sich um den Nachfolger zu streiten. Die Genossen entscheiden zu lassen, ist kein Ausweis von basisdemokratischer Tugend, sondern eher ein Griff zur Notbremse. Denn sonst droht endloses Machtgerangel.
Politisch sauber wäre etwas anderes: eine Neuwahl. Aber die ist angesichts der machtmüden Behäbigkeit des politischen Betriebs in Berlin Traumtänzerei. Die SPD fürchtet bei Neuwahlen Verluste, die CDU, dass es danach eine linke Regierung ohne sie geben wird. Die Große Koalition wird einfach weitermachen, als wäre nichts passiert. Pragmatisch und wurschtig. Wie Wowereit.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Gerichtsentscheidung zu Birkenstock
Streit um die Sandale