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Kommentar Worte in der PolitikReden ist Gold

Georg Löwisch
Kommentar von Georg Löwisch

Angela Merkel darf man nicht nur an den verschärften Asylgesetzen messen. Das wäre kleinlich und würde die Wirkung ihrer Worte verkennen.

Angela Merkel setzt ihr Ansehen und ihr Amt ein, um die Illusion von Abschottung zu zerstören. Foto: dpa

D ie Kanzlerin redet schön, aber handelt hässlich. Sie hat – frei nach Karl May – Honig auf den Lippen, aber Galle im Herzen. Doch das ist eine Erzählung, die in die Irre führt. Sie hilft Horst Seehofer und schadet den Geflüchteten.

Ja, es ist richtig, dass viel an den neuen Asylgesetzen der alten integrationsfeindlichen Abschottungslogik der Neunziger folgt; beispielsweise der Plan, an die Stelle von eigenem Geld eine entwürdigende Sachleistungsbürokratie zu setzen. Aber es ist kleinlich, Merkel nicht auch an ihren Worten zu messen. Weil Worte in der Politik Taten sind.

Das zeigt sich nirgendwo so eindrücklich wie in der Debatte um Flucht und Integration. Wenn Politiker in Merkels Partei mit Klischees Angst vor Menschen in Not schüren, dann zündeln sie. Und wenn die Pegidisten hetzen, dann muss man den Begriff Brandrede wortwörtlich nehmen.

Die Kanzlerin hält seit Wochen dagegen. Sie setzt ihr Ansehen und ihr Amt ein, um die Illusion von Abschottung zu zerstören. Sie hält die Humanität hoch, obwohl viele Deutsche Angst vor Einwanderung haben. Sie stellt sich hinter die Ehrenamtlichen, die Kleidung sortieren, sie steht neben den Friedlichen, Weltoffenen und Hilfsbereiten, die sich Pegidas kleingeistigem Größenwahn entgegenstellen. Merkel beweist Würde in einer Krise, die ihresgleichen sucht. Ihr Reden ist Gold.

Es geht um Leben und Tod

Nörgler würden nun entgegnen, sie provoziere mit ihren Reden Seehofer erst. Das ist Unfug. Dieser Mann würde auch Furcht vor Geflüchteten wecken, wenn Merkel schwiege. Zudem, Entschuldigung, geht es hier nicht um einen belanglosen Streit wie bei der Pkw-Maut. Es geht um Leben und Tod. Die Fragen, was mit den Geflüchteten passiert, wer sie sind und was ihre Zukunft sein kann, sind zu groß, als dass Merkel dazu schweigen dürfte. Streit muss sein, er ist nötig. Seehofer bietet Angst an, Merkel Solidarität.

Worte sind Macht. Das lässt sich daran sehen, wie sehr Seehofer sich aufmandelt. Vor seinem Gespräch mit der Kanzlerin am Samstag und dem Treffen der Spitzen von CDU, CSU und SPD am Sonntag haben er und seine Flüsterer mit allem gedroht, was ihnen einfiel. Dass sie Merkel verklagen, dass sie ihr die Koalition aufkündigen, dass sie die Union zerbrechen lassen. Diese Rage zeigt, dass ihnen Merkel zu wort-, zu wirkmächtig ist. Seehofer hätte gern, dass sie schweigt, oder noch besser: widerruft. Sie wird es hoffentlich nicht tun.

Eine andere Merkel

Denn für die Hunderttausenden, die in Deutschland Schutz suchen und bekommen, ist es wichtig, wer diese Debatte gewinnt. Merkels Worte wirken nur, wenn sie für glaubwürdig gehalten wird. Ist sie es? Das Misstrauen ihr gegenüber rührt von ihrem Politikstil her. Die Kritik an der Kanzlerin war, dass sie opportunistisch handelt. Dass sie Angst davor hat, Risiken einzugehen. Dass sie sich nie exponiert, um sich Spielräume zu erhalten. Merkel, das war lange eine gängige These, lähme dadurch den Meinungsstreit in der Republik.

Nun sollten ihre Kritiker endlich zur Kenntnis nehmen, dass all dies seit Wochen perdu ist. Wir sehen eine andere Merkel. Seit ihrer „Wir schaffen das“-Rede hat sie sich immer wieder exponiert. Dass die Republik gerade schläft, wird niemand ernsthaft behaupten. Und Merkels Spielräume? Die sind eng geworden. Wichtige Landtagswahlen stehen bevor. Ihre Umfragewerte rutschen. Der Streit wird die CDU im Wahlkampf tief verunsichern. Mehr Risiko geht nicht für eine Kanzlerin. Das macht sie glaubwürdig.

Aber Politik ist eine Endlosschleife, und vielleicht fällt sie ja um beim Koalitionsgipfel. Vielleicht fällt sie einfach wieder in ihr altes, strategisches Schweigen zurück. Es wäre schade. Denn dafür, was sie mit Worten leistet, muss man ihr dankbar sein.

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Georg Löwisch
Autor
Viele Jahre bei der taz als Volontär, Redakteur, Reporter und Chefredakteur.
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19 Kommentare

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  • Naja. Sogar Hitler hat vom Frieden gesprochen.

     

    Gerade als Deutscher sollte man so langsam gelernt haben, wie Machtpolitik funktioniert.

    • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      Hitler hat 1936 zwar davon gesprochen, nur den Frieden zu wollen, den Nachbarn die Hand zu reichen und keinen Hass gegen sie zu haben. Er sagte dies allerdings vor bereits kampfbereit angetretenen Truppenaufmärschen und fügte dann noch hinzu, Deutschland dürfe niemals bolschewistisch werden - womit die Marschrichtung auch gleich klar war und die Provokation unüberhörbar. Ebenso waren die Nichtangriffspakte, die er schloss, niemals Akte eines Friedenswillens, sondern allein Demonstrationen seines absoluten Machtanspruchs.

  • Es wäre oft besser Politiker an ihren Taten und nicht an ihren Worten zu messen.

     

    Frau Merkel beherrscht die Wahl der unverbindlichen Worte sehr gut. Bei der Flüchtlingskrise wird sie aus der Deckung gezwungen und promt hagelt es Kritik.

  • PS jede Führungskraft bekommt Rhetorikkurse, wo man aufs Reden, diskuttieren usw trainiert wird

  • Merkel ist die Meisterin der unverbindlichen Worte, der (fast) niemals Taten folgen. Aufgrund ihrer Freigabe, ein paar Tausend Flüchtlinge aus Ungarn einreisen zu lassen, hat sie sich wohl den Mutter-Theresa-Nimbus für alle Ewigkeiten verdient. Coole Berechnung.

     

    Aber als der Wind umschlug, war Merkel schnell wieder auf der alten Blockade-Linie. Sie ruht sich aus auf den unermüdlichen Bemühungen der Ehrenamtlichen, die von der Poltik total ausgenutzt werden. Ohne den Teil der Bürger, die solidarisch und ohne Eigennutz den Flüchtlingen unter die Arme greifen, wäre das System schon lange gescheitert. Politiker aus CDU, CSU, SPD und speziell Seehofer & Co. können ihre unverantwortlichen Parolen nur ausbreiten, weil Ehrenamtliche das Schlimmste verhindern. Sie produzieren ihre eigene Unmoral und Unfähigkeit auf dem Rücken der Flüchtlinge und der uneigennützigen Helfer. Es gibt nur Worthülsen von Politikern "christlich-abendländischer Kultur", die in genauen Gegensatz zur christlichen Grundwerten stehen.

     

    Solange ich von der offiziellen Politik nicht ein Wort des Eingeständnisses von der westlichen Verantwortung hinsichtlich der wirklichen Ursachen der Flüchtlingsströme höre und eine ernst zu nehmende Entscheidung getroffen wird, die zugrundeliegende menschenverachtende Politik zu ändern, haben Merkel & Co. jegliche Glaubwürdigkeit verloren.

    • @Peter A. Weber:

      Die will halt noch nen Friedensnobelpreis. Und sie wird ihn kriegen. Wetten?

  • Nie hätte ich gedacht, dass ich Merkel noch mal gut finden würde. Auch wenn sie bezogen auf die Flüchtlinge sicher auch nicht alles richtig macht, tritt sie doch insgesamt bei diesem Thema so klar, geradlinig, gut und vernünftig auf, dass sich z.B. Boris Palmer einige Scheiben davon abschneiden könnte. Die Grüne Jugend fordert ja schon ein Parteiauschlussverfahren gegen ihn.

    • @Markus Maria Strobl:

      Nur weil man die Grünen nicht mag, muß man nicht gleich Merkels Verlogenheit gut finden.

  • Bedeutet das auch: Frau Merkel darf alles, nur weil sie "schön" redet. Wie sieht es z. B. mit dem von ihr angestrebten "Schutz der EU-"Außengrenzen" aus, der primär in der Türkei realisiert werden soll?

     

    Hauptsache, die Reden klingen schön. Und wenn dann die meisten Flüchtlinge in der Türkei "überredet" werden, dort zu bleiben, ist ja alles gut. Die Flüchtlinge werden begeistert sein und andächtig Merkels schönen Reden lauschen.

  • In dieser Frage wird Merkel das erste Mal ihrer Herkunft als Pfarrerstochter gerecht. Sie steht nun wirklich zu humanistischen und christlichen Werten, ungeachtet irgendwelcher Demoskopen....

    • @robby:

      ...und vor allem irgendwelcher Taten.

  • Sorry - Herr Löwisch -

     

    Aber das mit der Endlosschleife -

    Dem Möbiusband - das haben

    Sie wohl a weng zu sehr - öh

    Internalisiert - hm¿!

    Eso&esu halt.

  • Wenn es stimmt, dass "Worte in der Politik Taten sind", muss Schweigen in der Politik wohl pathologischer Tatendrang sein.

  • Dass Merkel ein meinungsloser Opportunismus unterstellt wurde, dass sie wie ein Fähnchen im Wind handeln würde und dass sie sich stets aus boshaftem Machterhaltswillen eine Hintertür aufgehalten hat, habe ich immer schon für eine falsche Auslegung Ihres Politikstils empfunden. Ich war immer schon der Meinung, dass diese Frau ein WEISS, dass Sie nicht alleine handeln und regieren kann, dass Kompromisse zur Politik dazugehören, dass man sich soviele Befürworter wie möglich ins Boot holen muss. Nur dann, wenn Sie es unbedingt für notwendig erachtet, eine schnelle Wende einzuleiten, hat sie sich über die Köpfe aller ansonsten involvierter Flüstertüten hinweggesetzt und gehandelt, schneller als andere gucken können. Und in solchen Situationen hat sie sich nie gescheut, ihr schnelles Handeln immer und immer wieder zu erklären, damit ihr letztendlich doch noch soviele Schäfchen wie möglich folgen. Ihre Politik in der Flüchtlingsfrage ist genauso konsequent und überraschend, wie seinerzeit der von ihr entschiedene Ausstieg aus der Atompolitik. Ich kann diese Frau sehr gut verstehen.

  • Meine erste Reaktion ist auch, dass ich Merkel regelrecht dankbar bin, dass sie nicht den lautstarken Forderungen der Menschenrechtsfeinde nachgibt. Aber Merkel steht keineswegs alleine. Sie hat so ziemlich die gesamten Leitmedien auf ihrer Seite. Ausnahme sind lediglich die Pegida-Bediener, die nicht müde werden, Politiker nach Obergrenzen zu befragen. Obergrenzen, die, wie sich die "kompetenten" Frager das wohl vorstellen, nur verabschiedeten werden müssten, um zu wirken.

     

    Die zweite Reaktion ist die Frage, wieso unsere Leitmedien zu den Flüchtlingen um so Vieles freundlicher sind, als zu bspw. den Griechen. Dass es unseren Leitmedien nicht um die Menschen geht, sagt mir der Umstand, dass sie keineswegs Destabilisierungen in den Ländern gegenüber abgeneigt sind, wenn diese von der richtigen Seite kommt. Der Krieg in Afghanistan war unseren Leitmedien ab 2011 bis heute immer grundsätzlich gerecht.

     

    Im Irak wurde zwar der Erstgrund Massenvernichtungswaffen bemängelt, aber der valide Zweitgrund "Sturz eines Diktators" stets zugestanden, wenn nicht gar anempfohlen.

     

    In Libyen waren die Begründungen "Schutz der Rebellen" und "Sturz eines Diktators" schon von Anfang an nahezu gleich auf. Wobei ich mich im Rückblick schon frage, wieso Rebellen vor dem staatlichen Gewaltmonopol geschützt werden müssen.InLibyen undSyrien hat sich gezeigt,dass dieRebellen umVieles menschenfeindlicher agieren, als dieRegierungen je.

     

    Nun plötzlich sind unsereMedien besorgt um dieFlüchtlinge aus eben diesen Ländern?Nachdem sie seit 2011 gegenAssad und für die sunnitischenRebellenStimmung machen,dass einem beimArtikellesen ganz ungut in derMagengrube wird?

     

    Man muss nicht House of Cards kennen,da genügt schonBorgen,dass man denVerdacht hegt,dass unsereKanzlerin hier eineRolle einnimmt,ebenso wie unsereLeitmedien den strategischenNato-Linien folgen.Was dieBanken bei derEurokrise sind,sind dieFlüchtlinge bei derNato-Geostrategie.Sie müssen nun leider gerettet werden

  • Die rechten Anheizer sind das eigentliche Problem. Merkel müsste hier viel mehr Courage zeigen, nicht Wahlen und Parteifreunden nachschielen. Eine aufgeklärte Gesellschaft braucht Mut. Rechtspopulisten sind zu entlarven. Aufklärung tut Not. Menschenrechte sind nicht verhandelbar.

  • Pseudo-Humanismus!

     

    Wo war Merkel, als auf der Afrika-Lampedusa-Route über das letzte Jahrzehnt zigtausende Migranten zu Tode kamen?

    Wo war Merkel, als die Südländer in den letzten Jahren mehr europäische Solidarität bei der Flüchtlingsfrage einforderten?

    Was macht Merkel indem sie hunderttausende Flüchtlinge „einlädt“ – u.a. mit BILD-Kampagnien, um sie dann in menschenunwürdige „Sammelunterkünfte“ zu stecken?

    (wo doch ein kaum absorbtionsfähiger Arbeitsmarkt nebst Wohnungsknappheit herrscht?).

    Merkel macht auf mich eher den Eindruck als Pfarrpolitikertypus, wie sie auch Busch und Blair waren, die eine gute (?) Gesinnung echtem, weil unangenehmen realistischen Denken vorziehen?

    Hat man nicht bei letztgenannten gesehen wohin das führt?

    Ist dieser linke Größenwahn „alle einzuladen“ nach Deutschland nicht genauso kleingeistig, wie derer aus Dresden?

  • "Das macht sie glaubwürdig."

     

    Glaubwürdig wäre die Kanzlerin, wenn sie ihren goldenen Worten auch goldene Taten folgen ließe. Aber das Gegenteil ist die Realität, also kann man bestenfalls noch von Doppelmoral sprechen. Ehrenamtliche Helfer und Flüchtlingsunterstützer tun ihre Sache, weil sie integre Menschen geblieben sind und nicht, weil sie auf Merkels Lob Wert legen.

  • Wer hier immer wieder den Flüchtenden dieser Welt Unterstützung verspricht, sollte mehr dafür tun, dass Menschen nicht auf dem Weg hierher umkommen. Statt hier den erfolgreich Flüchtenden den Lorbeerkranz umzulegen und diese zu idealisieren, wäre es dringend geboten, die Menschen von tödlichen Fluchten ab zu halten ... statt die Bilder von Toten im Mittelmeer zu missbrauchen.