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Kommentar WeltforenMüder Norden, munterer Süden

Felix Lee
Kommentar von Felix Lee

Im Luxuskurort Davos findet das Weltwirtschaftsforum und im sonnigen Porto Alegre das Weltsozialforum statt. Mehr Demut würde dem reicheren Norden nicht schaden.

I m Jahre 4 nach der Lehman-Pleite befinden sich die Industriestaaten in einer veritablen Systemkrise. Das macht sich auch auf dem diesjährigen Weltwirtschaftsforum im Luxuskurort Davos bemerkbar. Vom einstigen Protz in den 90er und Nuller Jahren ist nur noch wenig zu spüren. Stattdessen bemühen sich die Reichen um Nüchternheit. Schließlich müssen sie nicht nur immer verzweifelter um den Bestand ihres Vermögens kämpfen, der Kapitalismus in seiner bisherigen Form an sich steht auf der Kippe. Zugleich macht sich Müdigkeit breit.

Bei den Sozialbewegten auf dem Weltsozialforum im sonnigen Porto Alegre hingegen ist von Krise allenfalls abstrakt die Rede. Munter debattieren sie über langfristige Konzepte einer besseren Welt und nutzen die Anwesenheit von 20.000 engagierten Aktivisten, um sich entspannt auf den großen UN-Umweltgipfel Mitte des Jahres in Rio De Janeiro vorzubereiten. Von Krise ist nicht wirklich viel zu spüren. Der globale Süden sieht sich im Aufwind.

Die so völlig unterschiedliche Stimmung in Davos und Porto Alegre zeigt einmal mehr, wie sehr die letzten Jahre die Welt umgekrempelt haben. Bisher arbeitete sich das Weltsozialforum inhaltlich-widerständig immer am Reichenforum in Davos ab. Doch Euro-Krise, Rezession, Schuldenexzesseund in die Höhe schnellende Massenarbeitslosigkeit – das sind zu Beginn des Jahres 2012 Probleme des Nordens. Die Länder Lateinamerikas, Indien und selbst einige afrikanische Länder hingegen haben sich zu Motoren der Weltwirtschaft gemausert. Die einstigen Kolonialmächte sind nun die Bittsteller.

Bild: privat
FELIX LEE

ist Redakteur im taz-Ressort "Wirtschaft und Umwelt".

An diesem Rollentausch muss sich der nach wie vor reichere Norden gewöhnen. Und mehr Demut und Bescheidenheit wird ihm nicht schaden. Dem Süden ist dieser Aufholprozess zu gönnen. Er war auch lange nötig.

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Felix Lee
Wirtschaft & Umwelt
war von 2012 bis 2019 China-Korrespondent der taz in Peking. Nun ist er in der taz-Zentrale für Weltwirtschaft zuständig. 2011 ist sein erstes Buch erschienen: „Der Gewinner der Krise – was der Westen von China lernen kann“, 2014 sein zweites: "Macht und Moderne. Chinas großer Reformer Deng Xiao-ping. Eine Biographie" - beide erschienen im Rotbuch Verlag.
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2 Kommentare

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  • VD
    valeria damiroxa

    2011 besuchten 1.5 Millionen Turisten von Brasilien die USA, und 170,000 Argentinier flogen in den Ferien nach Kuba...

  • G
    Göran

    Ein Treffen sozialer Bewegungen mit dem indischen Kapitalismus in einen Topf zu schmeißen gereicht dem Bewegungsredakteur nicht gerade zur Ehre. So sehr dem Süden die Umkehrung der Verhältnisse zu wünschen ist und dem Norden die Ernüchterung: Das Modell "rausholen, was geht, und nach uns die Sintflut" bleibt falsch und zerstörerisch.