Kommentar Wehrmachtsverbrechen: Auf der Anklagebank
Bisher hat es Deutschland immer geschafft, nicht für die Verbrechen der deutschen Wehrmacht in Italien haften zu müssen. Damit muss jetzt endlich Schluss sein.
T ausende Zivilisten wurden von Hitlers Truppen während des Zweiten Weltkriegs bei Massakern in Italien umgebracht. So gut wie niemand hat je für diese Verbrechen gezahlt. Italien hat erst in den letzten Jahren begonnen, die Täter dafür zur Verantwortung zu ziehen; es gab diverse Male das Urteil "lebenslänglich". Doch keiner der im sicheren Deutschland lebenden Täter musste je die Haft antreten. Und keiner entschädigte die Nachfahren der Opfer. Der deutsche Staat erklärte sich einfach für nicht zuständig.
In seinem Auftrag suchten deutsche Professoren im Stil von Winkeladvokaten nach immer neuen Gründen für einen Haftungsausschluss. "Nach Abschluss eines Friedensvertrags" werde man über Haftung reden können - so hatte die alte Bundesrepublik über Jahrzehnte alle Ansprüche abgeschmettert. Die Logik lag auf der Hand: Deutschland spielte einfach auf Zeit und meinte, es könne sich so aus der Verantwortung stehlen.
Jetzt macht der italienische Kassationsgerichtshof einen Strich durch diese einfache Rechnung, an deren Ende immer eine Null stand. Und er machte einen Strich durch das billige Verfahren, Einzelansprüche unter Hinweis auf angeblich notwendige Gesamtlösungen zurückzuweisen - auf Gesamtlösungen, um die sich Deutschland dann aber, außer im Falle der osteuropäischen Zwangsarbeiter, nie ernsthaft bemühte.
Die Bundesregierung wäre sehr schlecht beraten, wenn sie die jetzt vom italienischen Kassationsgericht verfügte Opferentschädigung einfach als "uneinbringlich" abtut und hofft, am Inkasso vorbeizukommen, weil staatliches "Funktionseigentum" im Ausland - etwa die Goethe-Institite - nicht gepfändet werden dürfte.
Denn schon jetzt steht zumindest eines fest: Auf Deutschland wird eine Klagewelle zurollen. Und wenn der Bundesregierung keine vernünftige Lösung einfällt, wird Deutschland in jedem einzelnen Fall gleich zweimal auf der Anklagebank sitzen: als Verbrecherregime von gestern - und als dessen hartleibiger, mitleidloser Rechtsnachfolger von heute.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
Berlin nimmt Haftbefehl zur Kenntnis und überlegt