piwik no script img

Kommentar Wahlrechtsreform in ItalienNeue Ära, alte Gefahren

Michael Braun
Kommentar von Michael Braun

Der italienische Ministerpräsident Renzi will das Wahlrecht reformieren. In Europa wird das gut ankommen. Für sein eigenes Land aber birgt es große Risiken.

In Italien stark, auf dem Bild in Brüssel: Matteo Renzi. Bild: ap

S ollte Matteo Renzi sein neues Wahlrecht an diesem Montag endgültig durchs Parlament bringen, dann steht Italien eine neue politische Ära ins Haus. Nach den 20 Jahren, in denen Silvio Berlusconi das politische Geschehen dominierte, könnte sich bewahrheiten, was viele schon beim Aufstieg Renzis vorhersagten: dass nun eine jahrelange Ära unter dem Florentiner Jungpolitiker komme.

Repräsentierung des Wählerwillens und zugleich Regierbarkeit: Das soll das neue Wahlrecht gewährleisten. Renzi hat sich nun recht einseitig auf den Pol „Regierbarkeit“ geschlagen. In Europa wird dies überwiegend auf Beifall stoßen. Italien hätte endlich eine effiziente Exekutive. Und es hätte mit dem toskanischen Turbopolitiker einen auch im Ausland als zuverlässig und zupackend geltenden Regierungschef an der Spitze.

Übersehen wird dabei gern, dass das neue Gesetz große Risiken mit sich bringt. Renzi tut so, als träten in Italien eine gemäßigte Linke und eine konstitutionelle Rechte in einem klassischen Zweilagersystem gegeneinander an. Dies ist aber nicht der Fall. Schon Berlusconis Erfolge zeigten, dass Italien ein weites Feld für Populisten bietet. Wäre er in seinen Regierungsjahren nicht auf die nötigen Gegengewichte – im Parlament, im Verfassungsgericht, beim Staatspräsidenten – gestoßen, hätte er nach Gutdünken Italien umbauen können.

Auch künftig drohen ähnliche Gefahren. Wer mag ausschließen, dass wir – nach einer ökonomischen Krise etwa – eine Stichwahl erleben, in der Forza Italia unter der Führung von Berlusconis Tochter Marina gegen Beppe Grillos Movimento 5 Stelle antritt? Dann würde sich der Grundfehler des neuen Gesetzes rächen: dass es wieder einmal auf den Augenblicksvorteil – diesmal Matteo Renzis – zugeschnitten ist, in Zukunft aber das Land dramatisch destabilisieren kann.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Michael Braun
Auslandskorrespondent Italien
Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!