Kommentar Wahlrechtsreform in Italien: Neue Ära, alte Gefahren
Der italienische Ministerpräsident Renzi will das Wahlrecht reformieren. In Europa wird das gut ankommen. Für sein eigenes Land aber birgt es große Risiken.
S ollte Matteo Renzi sein neues Wahlrecht an diesem Montag endgültig durchs Parlament bringen, dann steht Italien eine neue politische Ära ins Haus. Nach den 20 Jahren, in denen Silvio Berlusconi das politische Geschehen dominierte, könnte sich bewahrheiten, was viele schon beim Aufstieg Renzis vorhersagten: dass nun eine jahrelange Ära unter dem Florentiner Jungpolitiker komme.
Repräsentierung des Wählerwillens und zugleich Regierbarkeit: Das soll das neue Wahlrecht gewährleisten. Renzi hat sich nun recht einseitig auf den Pol „Regierbarkeit“ geschlagen. In Europa wird dies überwiegend auf Beifall stoßen. Italien hätte endlich eine effiziente Exekutive. Und es hätte mit dem toskanischen Turbopolitiker einen auch im Ausland als zuverlässig und zupackend geltenden Regierungschef an der Spitze.
Übersehen wird dabei gern, dass das neue Gesetz große Risiken mit sich bringt. Renzi tut so, als träten in Italien eine gemäßigte Linke und eine konstitutionelle Rechte in einem klassischen Zweilagersystem gegeneinander an. Dies ist aber nicht der Fall. Schon Berlusconis Erfolge zeigten, dass Italien ein weites Feld für Populisten bietet. Wäre er in seinen Regierungsjahren nicht auf die nötigen Gegengewichte – im Parlament, im Verfassungsgericht, beim Staatspräsidenten – gestoßen, hätte er nach Gutdünken Italien umbauen können.
Auch künftig drohen ähnliche Gefahren. Wer mag ausschließen, dass wir – nach einer ökonomischen Krise etwa – eine Stichwahl erleben, in der Forza Italia unter der Führung von Berlusconis Tochter Marina gegen Beppe Grillos Movimento 5 Stelle antritt? Dann würde sich der Grundfehler des neuen Gesetzes rächen: dass es wieder einmal auf den Augenblicksvorteil – diesmal Matteo Renzis – zugeschnitten ist, in Zukunft aber das Land dramatisch destabilisieren kann.
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