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Kommentar WachstumsJenseits von Angebot und Nachfrage

Kommentar von Stephan Kosch

Die grundsätzliche Frage ist bisher noch nicht gestellt worden: Warum müssen wir überhaupt das Wachstum beschleunigen?

D er Bundestag hat am Freitag das Wachstumsbeschleunigungsgesetz verabschiedet. An diesem Dokument schwarz-gelber Klientelpolitik wurde zu Recht vieles kritisiert. Doch eine grundsätzliche Frage blieb bislang ungestellt: Warum müssen wir überhaupt das Wachstum beschleunigen?

Nur eine stetig wachsende Wirtschaft, heißt es, sichere Reichtum, Arbeitsplätze und sozialen Frieden. Das alles sieht man bedroht, wenn die Wirtschaftsleistung schrumpft, so wie in diesem Jahr geschehen. Unser System ist auf ewiges Wachstum angelegt. Das vorgebliche Ziel: Glück und Wohlstand für alle.

Doch das ist mit starrem Blick auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nicht zu erreichen. Denn wir zahlen für jeden Prozentpunkt Wachstum. Mit Lebenszeit, mit weniger Freizeit und Familienleben, mit gesundheitsschädlichem Stress, mit Rohstoffen und Naturvermögen.

taz

Stephan Kosch ist Redakteur im taz-Ressort Ökologie und Wirtschaft.

Der Kampf gegen den Klimawandel hat zwar dazu geführt, dass die Erdatmosphäre nicht mehr kostenlos als Deponie für CO2 genutzt werden kann. Doch auch hier gilt wieder das gleiche marktwirtschaftliche Spiel von Angebot und Nachfrage und der Steigerung von Renditen. Experten warnen bereits vor kommenden Spekulationsblasen im Emissionshandel. Und auch Windparks und Sonnenkraftwerke verbrauchen Rohstoffe und Landschaft. Die Stärkung der Green Economy ist ein erster und notwendiger Schritt. Aber es ist wenig gewonnen, wenn der Wachstumsfetisch lediglich ein grünes Mäntelchen bekommt.

Es muss also Schluss sein mit dem statistischen Zerrblick. Das BIP allein ist nicht aussagekräftig. Werden Indikatoren für Naturverbrauch, Wohlstandsverteilung und für das Wohlbefinden einer gesättigten Volkswirtschaft eingerechnet, löst sich das Glücksversprechen der Wachstumsprediger in nichts auf.

Statt Beschleunigungsgesetzen brauchen wir steuer- und ordnungspolitische Bremsklötze für die Wirtschaft. Nicht nur um Natur und Klima zu schützen, sondern auch um Freiräume zu schaffen. Denn die sind für ein glückliches Leben unabdingbar.

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8 Kommentare

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  • B
    Bremsklotz

    Gute Frage: Warum brauchen wir überhaupt Wachstum?

    Aus meiner Sicht liegt die Antwort im Verborgenen der Urinstinkte. Elias Canetti hat die Frage des Wachstums und ihrer Bedeutung für Menschen, die sich in Meuten (= Vorläufer jeglicher Interessengruppen) organisieren, gut beschrieben. Die Meute drängt nach Wachstum. Mehr Mitglieder sichern größere Jagderfolge, größere materielle Möglichkeiten können mehr Meutenmitglieder ernähren und die wiederum führen zu noch mehr Jagderfolgen. Es sind nach wie vor die Urinstinkte, die uns regieren und unser Handeln bestimmen, nicht die Vernunft!

    Sollen wir uns angesichts dieser Erkenntnis noch wundern darüber, was für Menschen uns regieren und welche Ziele sie verfolgen? Wenn Aufklärung das Heraustreten des Menschen aus seiner selbstgewählten Unmündigkeit ist, dann befinden wir uns zur Zeit in einer Renaissance der Urinstinkte, die Vernunft mühelos vom Tisch fegen können.

  • M
    Markus

    "Denn wir zahlen für jeden Prozentpunkt Wachstum. Mit Lebenszeit, mit weniger Freizeit und Familienleben, mit gesundheitsschädlichem Stress, mit Rohstoffen und Naturvermögen." Zitat Ende. Was ist mit Freizeitstress, was ist mit Familienstress, was ist, wenn die Familie wächst, reduziert sich dann auch die Lebenszeit, weil ich mehr Stress habe oder ist dies positver Stress? Dann schicke ich Ihnen mal meine Tochter vorbei. Wie ist die Lebenszeit eigentlich definiert? Gibt es böse, gute, schlechte, schöne, hübsche oder dreckige Lebenszeit. Wenn ich während meiner Lebenzeit arbeite, ist dies gut oder schlecht? Wenn ich während meiner Lebenszeit ein Stück Kuchen essen, welches ein Bäcker mit seiner Lebenszeit produziert hat, muss ich mir Sorgen wegen meiner guten Lebenszeit machen? Ist es nicht schön, wenn man mit seiner Arbeit etwas schafft was andere Freude bereitet? Oder muss ich mir Gedanken machen, weil ich mit einem Stück Kuchen Rohstoffe und Naturvermögen verbrauche? Warum wurde dieser Kommentar geschrieben und ein gutes Stück Lebenszeit verbraucht? Er hat sogar mir ein Stück guter Lebenszeit geraubt und da ich auch noch ein Computer verwende, der auch noch Rohstoffe und Naturvermögen verbraucht, ist dies noch schlimmer. Noch schlimmer ist dazu noch, dass ich mit dem Computer zum Wachstum beigetragen habe und dieser Kommentar wohl auch dazu gedient hat, sei es nur wegen dem Platzverbrauch im Internet. Also beim nächsten Kommentar vielleicht mehr Lösungen bieten und besser argumentieren und nicht einfach flache Parolen wiederholen.

    PS: Herr Kosch, ich sehe auf Ihrem Foto, dass sie einen Kamm verwendet haben, um sich zu kämmen und dass sie Kleidung anziehen, die bestimmt nicht in ihrem Garten gewachsen ist und die sie ohne arbeit in der Freizeit hergestellt haben, ganz zu schweigen von der Farbe der Kleidungsstücke, die eine Menge Rohstoffe und Naturvermögen verbraucht haben. Ach ja, der Optiker hat Ihnen bestimmt in seiner Freizeit ihre Brille hergestellt und dies mit seiner ganzen Familie getan, weil sonst geht ja Lebenszeit verloren und so wie es aussieht, ist alles ziemlich neu, was wiederum Rohstoffe und Naturvermögen verbraucht hat.

     

    :o)

    Auch ich meine, dass vieles geändert werden muss und sich auch ändern wird. Dann hat es aber nicht an diesem Kommentar gelegen, sondern an der Arbeit, Lebenszeit und Rohstoffe und Naturvermögen, die viele auf Kosten Ihrer familie in dieses Projekt gesteckt haben, um die Welt für alle ein Stück besser zu machen. Mhh, habe ich etwas falsch verstanden, oder was ist ein glückliches Leben.

  • V
    vic

    Ein Mäntelchen, auch ein grünes, genügt dieser Bevölkerung allemal. Sie ist leicht zu täuschen wie man weiß.

    Und so halten sie´s (die Profiteure der Einfalt) wie McDonalds und malen sich ein grünes Logo.

    Atomstrom ist ja schon lange grün...

  • L
    lutzindasky

    Hallo Mädels!

    Hab ich schon mal irgendwo hier gepostet:

    Die Natur kennt ständiges Wachstum! Ja! Kein Problem! Man nennt es Krebs!

    Der Mensch ist der Krebs des Planeten. Strahlentherapie dringend notwendig!

    Die Mittel dafür sind vorhanden.

    Bitte anwenden!!!

  • E
    Eser

    Ich stimme dem partiell zu: Auch umweltfreundliche Produkte hingegen haben das Potential zur Stärkung der Wirtschaft, weil auch sie produziert und verkauft werden müssen. Daher haben wir gerade in diesem Bereich noch gewaltige, ungenutzte Möglichkeiten. Vielleicht sollten wir z.B. aufhören, die Automobil-Industrie weiter zu stützen bzw. gesetzlich auf umweltfreundliche Technologie umstellen, damit das BIP nicht länger nur von Umweltverpestern getragen wird.

  • Z
    Zazaz

    Ist heute der erste April? Oder fordert der taz-Redaktuer allen ernstes Bremsklötze für die Wirtschaft?

     

    Eigentlich sollte selbst dem *zensiert* linkstem Redakteur einleuchten dass nur verteilt werden kann was vorher erwirtschaftet wurde.

     

    Ohnehin wird die Wirtschaft durch die hohen Abgaben und eine Unzahl von Gesetzen und Bürokratie ausgebremst.

     

    Mehr Bremsklötze?

     

    Der Preis wäre eine Arbeitslosenquote von 25 %.

  • B
    BeobachterHH

    Bis auf den letzten Absatz mit den Schlussfolgerungen stimme ich zu.

     

    Warum "neue Regelungen" nicht reichen, sondern Marktwirtschaft/Kapitalismus immer Wachstum benötigt, also Mehrwert generiert werden muss, damit haben sich schon zahlreiche Autoren beschäftigt. Hier ist einer der besseren Artikel zum Thema, welcher die Grenzen dieser Systemlogik deutlich macht.:

    http://www.exit-online.org/textanz1.php?tabelle=schwerpunkte&index=6&posnr=195&backtext1=text1.php

  • HH
    Hans Hirschel

    Dass Wachstum Zeit klaut ist genau so falsch wie die Behauptung des Gegenteils. Die Frage ist, was wie und für wen wachsen (und gerade deshalb freie Zeit ermöglichen) soll und was (wie und für wen) nicht weil es nur Zeit für Unsinn raubt.

     

    Ohne Zweifel brauchen wir Bremsklötze für die Produktion von Unsinn (statt Menschen zu nötigen, wild blinkende und Geräuschmüll quäkende Spielzeueuggitarren oder -autos aus Plastik für heran wachsende Konsumidiotiotielehrlinge im Vorschulalter zu produzieren und bereit zu stellen, sollte allen, die da nicht mitmachen wollen ein Erholungs- und Bildungsurlaub spendiert werden) für zu viel oder zu ineffizient produzierte Dinge. Solange das altmodische, weil sozial und ökologisch blinde Geld noch das zentrale Vergesellschaftungsmittel ist, wären Ökosteuer oder nach sozialen bzw. ökologischen Kriterien gestaffelte Mehrwertsteuer Mittel der Wahl. Hüten sollten wir uns aber davor, "Wachstumsfetischismus" durch "Nichtwachstumsfetischismus" zu ersetzen. Überhaupt hindern all die gegenwärtigen Anklagen "des" Wachstumsdenkens nur das Nachdenken über die Veränderung struktureller Grundlagen des blinden Wachstumszwangs und wie etwas mehr (Öko-)Sozialismus gewagt werden könnte.

     

    Gruß hh

    http://hhirschel.wordpress.com