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Kommentar Vorwahlen in den USAGier ist nicht mehr geil

Bernd Pickert
Kommentar von Bernd Pickert

Der Sieg Romneys ist nicht mehr so sicher. Sein Rivale Gingrich bezeichnet ihn als Heuschreckenkapitalisten. Kapitalismuskritik im Herzland der kapitalistischen Ideologie? Taktik.

J etzt wird es doch wieder spannend. Kurz vor den Vorwahlen in South Carolina ist der scheinbar unaufhaltsame Siegeszug des Multimillionärs Mitt Romney nicht mehr so sicher. In den jüngsten Umfragen liegt er plötzlich wieder gleichauf mit dem ehemaligen Repräsentantenhaussprecher Newt Gingrich - und das noch vor der Entscheidung des texanischen Gouverneurs Rick Perry, seine Kandidatur aufzugeben und stattdessen Gingrich zu unterstützen.

Offenbar ist Gingrichs Strategie aufgegangen, Romney als raffgierigen Heuschreckenkapitalisten zu zeichnen. In dieser Woche kam dann das Thema Steuern dazu: Er zahle wohl so rund 15 Prozent, sagte Romney. Der Großteil der US-Amerikaner zahlt rund das Doppelte.

So ist die republikanische Kandidatenkür unversehens zu einem Lehrstück geworden. Da haben sich Großfinanciers wie die Koch-Brüder jahrelang darum bemüht, die Tea Party zu einer Art Basisbewegung für die Interessen der Superreichen zu machen - und plötzlich meint die republikanische Basis mit ihrer Kritik am "Establishment" nicht mehr nur Washington. Nicht einmal ein Dreivierteljahr nach Entstehen der Occupy-Bewegung finden immer mehr US-AmerikanerInnen die ungleiche Einkommensverteilung ein wichtiges Thema. Kapitalismuskritik im Herzland der kapitalistischen Ideologie?

Bild: taz
BERND PICKERT

ist Redakteur im Auslandsressort der taz.

Für Newt Gingrich ist das alles reine Taktik. Er sah seine Chancen schwinden und attackierte Romneys offenkundigste Angriffsfläche. Dass das aber innerhalb der Republikanischen Partei Resonanz findet, zeigt einen Wandel an. Jetzt müssten die Republikaner nur noch entsprechende Regulierungen fordern, statt sie als jobvernichtenden Übergriff auf die freie Marktwirtschaft zu geißeln. Aber so weit wird es nicht kommen. Da sind die Romneys vor. Und die Gingrichs.

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Bernd Pickert
Auslandsredakteur
Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. Bluesky: @berndpickert.bsky.social In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org
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4 Kommentare

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  • P
    prodomo

    Mal gut, das die Chancen der Unverbesserlichen zurückgehen. Die "verkrusteten Schädel", die wissen, dass das System nur ihnen Freude bringt, müssten von diesem Planeten verschwinden.Diese Leute wollen keine Veränderung, die ihrer einfältigen Clique schadet.

  • AK
    Anti Kapitalist

    Inwiefern hat denn Hetze gegen böse Heuschreckenkapitalisten etwas mit einer _Kritik_ des Kapitalismus zu tun?

    Ist es doch nichts als Hetze, die sich bei Neonazis, Wutbürger_innen und Bauchlinken findet und ihrem Charakter nach eher antisemitisch als antikapitalistisch ist - aber für manche fällt das ja in eins.

  • V
    vic

    sagt ein Kapitalist zum andern:....

  • N
    Normalo

    Gingrichs Taktik ist eher die Ausnutzung des allgemeinen ökonomischen Fokus, um von seinen eher im familiären Bereich liegenden, offenen Charakterflanken abzulenken und stattdessen die Aufmerksamkeit auf Romneys mögliche wirtschaftliche Charakterlosigkeit zu lenken. Denn bei der Kritik an Romney geht es nicht um Kritik am Kapitalismus insgesamt, sondern um Kritik an einzelnen Raffzähnen, die die Möglichkeiten des Kapitalismus nicht zum Wohl der Gesellschaft nutzen. Romney wird nicht das Recht aberkannt, so reich zu sein wie er ist. Er gilt seinen Verächtern nur nicht als anständig genug, um Präsident zu werden.

     

    Wer nämlich glaubt, dass ein nennenswerter Teil des republikanischen Wählerpotenzials angesichts solcher Raffzähne tatsächlich an Regulierung als Gegenmittel denken würde, hat die Denkweise amerikanischer Konservativer nicht kapiert. Da wird geschimpft, getadelt, verachtet - aber nicht verboten. Denn für sehr viele Amerikaner, insbesondere die tief religiösen, ist Reichtum nach wie vor keine Ungerechtigkeit, sondern eine Aufgabe, mit der das Individuum von sich aus verantwortungsvoll umzugehen hat (also gerade ohne dass Papa Staat ständig mit dem großen Knüppel hinter ihm steht und jede echte Solidarität zu einer schnöden Übung in Normenbefolgung umbaut). In den Augen dieser Menschen SCHWÄCHEN gesetzliche Vorgaben eher die Fähigkeit, sich als moralisch integerer Mensch auszuzeichnen. Deshalb kann man dort auch die Romneys dieser Welt hassen und trotzdem für Newt Gingrich oder gar Ron Paul sein.