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Kommentar VerfassungsschutzAufklären statt verbieten

Andreas Speit
Kommentar von Andreas Speit

Hinter dem Ruf nach einem NPD-Verbot steckt Kalkül. Alle reden über Rechtsextreme und ihre Verbindungen zur NSU, niemand über das Versagen der Sicherheitsorgane.

N ach dem Auffliegen des Nationalsozialistischen Untergrunds Ende vorigen Jahres schienen deutsche Innenpolitiker für einen Moment zur Selbstkritik fähig. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich gestand ein, dass „einige Behörden“ völlig versagt hätten.

Heinz Fromm, der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, sprach von einer „Niederlage der Sicherheitsbehörden“. Und Generalbundesanwalt Harald Range nannte die NSU-Morde sogar „unseren 11. September“.

Ehrliche Worte, denen aber bis heute keine praktischen Konsequenzen gefolgt sind. Statt die schonungslose Aufarbeitung des Versagens von Behörden und der Verstrickung von Sicherheitsorganen in die Serie rechtsextremer Morde zu beginnen, lösten Politiker lieber eine neue Auseinandersetzung über ein NPD-Verbot aus.

Andreas Speit

ist Autor der taz.

Kaum war die Nazi-Bande enttarnt, befeuerte der Generalbundesanwalt die Debatte mit der Behauptung, es sei mit „weiteren Belegen“ für die Nähe zwischen NSU und NPD zu rechnen. Dass derselbe Generalbundesanwalt später betonte, es sei nun doch kein direkter Zusammenhang zwischen Terrorgruppe und Partei zu erkennen, spielte schon keine Rolle mehr. Mit der Verbotsdebatte hatten Bundesregierung und Sicherheitsorgane da bereits die Diskurshoheit zurückerobert.

Von der heftigen Kritik am Verfassungsschutz und an der Polizei, die nach dem Bekanntwerden der NSU-Morde wie nie zuvor im Blick der Öffentlichkeit standen, ist kaum noch etwas zu hören. Dass wegen der Pannenserie, die den Neonazis ein dreizehnjähriges Leben im Untergrund mit ermöglichte, sogar in konservativen Medien über die Auflösung des Verfassungsschutzes nachgedacht wurde, scheint vergessen.

Der Wunsch einer großen Mehrheit, das Versagen der Behörden aufzuklären, gegebenenfalls auch drastische Konsequenzen zu ziehen und die demokratische Kontrolle von Geheimdiensten zu verbessern, verblasst. Stattdessen wurden ausgerechnet jene Institutionen, die mit Pleiten und Pannen auf sich aufmerksam gemacht haben, mit neuen Befugnissen im Kampf gegen Rechtsextremismus versehen.

Offenbar steckte Kalkül hinter der Forderung nach Verbot der NPD und der Behauptung, dass es enge Verbindungen zur NSU gebe: Inzwischen reden alle über die rechtsextreme Partei, aber niemand spricht mehr über die Sicherheitsorgane. Die politisch Verantwortlichen, Polizei und Verfassungsschutz können beruhigt sein. Wir nicht.

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Andreas Speit
Autor
Rechtsextremismusexperte, Jahrgang 1966. In der taz-Nord schreibt er seit 2005 die Kolumne „Der Rechte Rand“. Regelmäßig hält er Vorträge bei NGOs und staatlichen Trägern. Für die Veröffentlichungen wurde er 2007 Lokaljournalist des Jahres und erhielt den Preis des Medium Magazin, 2008 Mitpreisträger des "Grimme Online Award 2008" für das Zeit-Online-Portal "Störungsmelder" und 2012 Journalisten-Sonderpreis "TON ANGEBEN. Rechtsextremismus im Spiegel der Medien" des Deutschen Journalistenverbandes und des Ministeriums für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt. Letzte Bücher: herausgegeben: Das Netzwerk der Identitären - Ideologie und Aktionen der Neuen Rechten (2018), Die Entkultivierung des Bürgertum (2019), mit Andrea Röpke: Völkische Landnahme -Alte Sippen, junge Siedler, rechte Ökos (2019) mit Jena-Philipp Baeck herausgegeben: Rechte EgoShooter - Von der virtuellen Hetzte zum Livestream-Attentat (2020), Verqueres Denken - Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus (2021).
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8 Kommentare

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  • S
    suswe

    Das der Verfassungsschutz seit (spätestens) 1969 Verbindungen zur NPD hat, wissen mit dem Thema Befasste schon lange. Da muss auch mehr Aufmerksamkeit hingelenkt werden. Aber es ist weiterhin diskutabel, NPD zu verbieten, schon allein, damit die keine Steuergelder mehr bekommen.

  • N
    Normalo

    Ich frage mich immer wieder, in was für einem omnipräsenten Überwachungsstaat alle diejenigen, die jetzt von "totalem Versagen" der Verfassungsschützer reden, eigentlich leben wollen.

     

    Was ist denn eigentlich WIRKLICH den Sicherheitsbehörden durch die Lappen gegangen??

     

    Da gab es also Terroristen, die "im Untergrund" lebten, und der Verfassungsschutz hat es nicht bemerkt. Das ist - mit Verlaub - kein Wunder in einem freien Staat, wo sich NICHT Jeder alle paar Wochen bei der Stasi zu melden und die öffentliche Sichtbarkeit seiner Existenz nachzuweisen hat. Das jemand im Untergrund lebt, kann einer freiheitlich orientierten Staatsgewalt eigentlich nur auffallen, wenn sie nach diesem Jemand konkret sucht.

     

    Dafür braucht sie Gründe, und die sind das nächste Problem: Von Terroristen muss man erst einmal wissen, dass es sie gibt, bevor man sie suchen kann. Dafür müssen die sich terroristisch verhalten. Bloßer geistiger Terrorismus reicht nicht aus. Aber genau des haben die NSU-Herrschaften praktiziert. Kernneigenschaft von Terror ist nämlich nicht, dass er für einige Menschen den gewaltsamen Tod bedeutet, sondern vor allem, dass er dem Rest der angegriffenen Gruppe eine echte Todesangst einjagt. Dafür muss diese Gruppe erst einmal erfahren, dass sie angegriffen wird. Die NSU-Leute haben ihren Opfern das aber über Jahre verschwiegen, so dass die sich gar nicht terrorisiert vorkamen und auch für Außenstehende einfach kein Hinweis darauf ersichtlich war.

     

    Die Taten ließen also die Vermutung, dass da ein politischer Hintergrund ist, als falsch erscheinen - was sie übrigens in fast allen Fällen von gewaltsamer Tötung eines Ausländers in Deutschland nach wie vor auch ist. Ohne einen konkreten Anhaltspunkt, welchen Hintergrund eine Tat haben könnte, gehen die Ermittlungsbehörden in aller Regel davon aus, dass es sich um den unter den Umständen statistisch wahrscheinlichsten Hintergrund handelt. Damit mögen sie falsch liegen, aber ohne Hinweise auf die wahren Täter und den wahren Hintergrund kann ohnehin nur Kommissar Zufall den Fall lösen oder ein fataler Fehler, wie ihn die NSU gemacht hat.

     

    Dass natürlich jetzt alle überrascht waren und das Geschrei groß war und die politischen Beamten und Minister quasi gar nicht anders konnten, als sich von den medial an den Pranger gestellten Behörden zu distanzieren, hat mit dem wahren Verschulden nichts zu tun.

     

    Dieses - oder zumindest erhebliches Verbesserungspotenzial - gab es natürlich auch, aber das sollte man vielleicht mit einem etwas kühleren Kopf untersuchen, als er in Artikeln wie diesem hier zutage treten, der das präventive Auffinden solcher kleinen, unauffälligen und atypisch agierenden Terrorzellen einfach zum kategorischen Imperativ erklärt, dem man sich nur aus Gründen der falschen Gesinnung verweigern kann. Ganz so einfach ist es schlicht nicht.

  • S
    Stefan

    Eigentlich ist es doch die Gesellschaft, die versagt. Man möchte Ergebnisse aber keine Beeinträchtigung. Sollen die Behörden denn hellsehen? Oder sollen sie zum Vollstrecker der von bestimmten Kreisen gefällten Urteile werden ohne eigene Ermittlungen anzustellen?

  • CB
    Caspar Bildner

    Zwei Monate haben wir eine umfangreiche Berichterstattung zu der rechten Gewaltserie erlebt. Seit über einem Monat folgen nur noch gelegentliche Meldungen über die eine oder andere Spur.

     

    Die Medien in Deutschland haben trotz einiger guter Einzelleistungen auf ganzer Linie versagt: Einerseits stammen die meisten Erkenntnisse von Ermitteln und nicht aus eigener Recherche. Anderseits fehlen Recherchen, welche die vielen Einzelmeldungen in einen Kontext stellen.

     

    Von dem Untersuchungsausschuß des Bundestages hört man auch nur, daß dessen Teilnehmer gerne mal die Orginalakten sehen würden.

     

    Einer solchen Öffentlichkeit kann man alles verkaufen.

  • J
    Jason

    Meine Meinung:

     

    Wir leben in einer Demokratie (bzw. so wird sie genannt/also spielen wir mal das Spiel mit). In einer Demokratie darf die Freie Meinung geäußert werden und zu seiner Besinnung stehen, egal aus welchen Denkfehler Sie heraus entstanden sind, solange niemand schadet. (der Satz ist hart, wenn man sich bewusst macht, was er bedeutet...)

    eine Harmonische Demokratie ist wenn Kompromisse geschlossen werden so das alle zufrieden Leben können.

     

    Ich sehe ein Verbot einer Partei Kritisch entgegen. Wird es noch eine Partei geben die verboten wird? Wird das Verbot etwas nützen? Glaube nicht! Das Gedankengut ist das Problem.

    Das Problem liegt tiefer als in einer Partei, das Problem ist in den Köpfen der Menschen die die NPD Wählen und da wird nicht angesetzt.

     

    Mein Eindruck:

    Mann will die NPD verbieten weil das sie nächstes Jahr nicht an den Wahlen Teilnehmen kann. Das ist ein Politischer Schachzug, der aber nicht das Braune bekämpft. Jetzt stellt sich die Frage ist die NPD zu braun oder haben unsere Power-Politik-Schlümpfe mit Ihrer Anführerin Angie-Schlumpfine einfach die Hosen voll und wählen den letzten verzweifelten Ausweg der kein richtiger ist (nur ein aufschieben der Probleme)?!

  • K
    KFR

    "für einen Moment zur Selbstkritik fähig"

     

    in welchen Traumwelten leben Sie ?

  • K
    Karl

    Wer ohne faktischen Nachweis zur Sachverhaltsbeschreibung das Wort: "Versagen" benutzt, muß sich fragen lassen was damit bezweckt wird!!!

     

    Denn es ist in keiner Weise absehbar, dasss es sich hier um "Versagen" aus Unfähigkeit, eine (bewußte) tätige Unterlassung oder gar um planmäßiges Vorgehen zu Zweck der aktiven Gestaltung der rechtsextremen Szene für eigene Zwecke gehandelt hat.

     

    Die ganze Konstellation spricht sehr für die dritte, heir angeführte, Möglichkeit?

     

    Warum also wird von Versagen gesprochen?

     

    Glück auf!

     

    Karl

  • K
    K.Hobusch

    Das ein solcher Artikel in der TAZ steht erstaunt doch, schließlich hat auch die TAZ anfangs kritiklos alles wiedergegeben, was vorgesetzt wurde. Mittlerweile weiß der Bürger was dieses Verbotsgeschrei bewirken soll: es lenkt von den wirklichen Problemen (EURO-Wahn, Krieg, Arbeitslosigkeit, Versagen V-Behörde,etc.)ab.Schön daß das jetzt auch die TAZ thematisiert hat.