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Kommentar Ursachen rechter GewaltDer bequeme Extremismus

Daniel Schulz
Kommentar von Daniel Schulz

Wir müssen darüber reden, ob rechtsextreme Gewalt wirklich ein reines Phänomen des Randes ist. Die Verortung macht es den Fremdenfeinden in der Mitte der Gesellschaft zu leicht.

E ine neue Studie zu rechtsextremer Gewalt, ein weiterer Vorschlag, den Begriff zu ändern. Diese Debatte mag realitätsfern erscheinen, geführt werden muss sie.

Der Begriff "rechtsextrem" verortet rassistische Einstellungen am Rand der Gesellschaft, nicht in ihrer Mitte. Das ist falsch, wie Untersuchungen in schöner Regelmäßigkeit belegen. Es ist aber auch bequem. Denn wer möchte sich schon regelmäßig selbst befragen, ob nicht auch in ihm etwas von Hitler steckt? Daraus wiederum folgt eine Haltung, die bei konservativen Bürgermeistern ostdeutscher Kleinstädte bis zur urbanen westdeutschen Linken verbreitet ist: Nazis? - haben wir hier nicht.

In dieses Schema passt auch das stille Verständnis, wenn in Hamburg ein Film über Israel nicht laufen kann, wenn in Dresden eine Muslimin erstochen oder in Guben ein 14-Jähriger von Neonazis angegriffen wird. Hinzu kommt, dass de facto als "extrem" gilt, was im Verfassungsschutzbericht auftaucht. Schlimm ist, wer drin ist. Das spricht dafür, den Begriff "rechtsextrem" zu hinterfragen, nicht, ihn zu ersetzen.

Denn auf diese Weise drohen wichtige Unterschiede zu verwischen - woran derzeit schon kräftig gearbeitet wird. Eine Minderheit versucht Islam, Islamismus und Faschismus gleichzusetzen. Ein Comic des Verfassungsschutzes meint, Autonome und Neonazis seien eigentlich das Gleiche.

Und die neue Familienministerin schrieb, Rechts- und Linksextremismus seien wie die Enden eines Hufeisens: weit auseinander und doch so nah. Sie ist für die Programme der Regierung verantwortlich, mit denen diese künftig den Kampf gegen rechts dem gegen Linksextremismus und Islamismus gleichstellen will.

Eine Gleichsetzung wäre fatal. Denn Parallelen gibt es zwar, aber Parallelen berühren sich nicht.

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Daniel Schulz
Reportage und Recherche
Redakteur im Ressort Reportage und Recherche. Autor von "Wir waren wie Brüder" (Hanser Berlin 2022) und "Ich höre keine Sirenen mehr. Krieg und Alltag in der Ukraine" (Siedler 2023). Reporterpreis 2018, Theodor-Wolff-Preis 2019, Auszeichnung zum Team des Jahres 2019 zusammen mit den besten Kolleg:innen der Welt für die Recherchen zum Hannibal-Komplex.
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10 Kommentare

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  • R
    respekt09

    Links-Faschisten genauso bekämpfen wie rechte Faschisten!

  • DR
    Dr. rer. Nat. Harald Wenk

    @von Parallelen @Gerald Mueller

    Hier ist wohl weniger metaphorische axiomatisierte euklidische Geometrie als die Mathematik der Sozialwissenschaften gefragt, im wesentlichen statistisch dominiert ist.

    Hier fragt sich, wieso denn die Polizei die 80 Banden nicht auseinderhalten konnte und die lupenreine rechte Gewalt doch mit Toten (140:0) und Körperverletzungen die anderen "politischen"

    zu Statistenrollen was die Bedeutung angeht, verdammt.

    Auch das in der Mathematik extrem fein ausgebaute Instrument der Defintion wir doch eher missbraucht. Wenn wir schon zu "rechte Gewalt" spezifiziert haben, sollten wir nicht reentdifferenzieren zu "rechte Gewalt = Gewalt überhaupt oder = organisierte Gewalt".

    War es nicht Heiner Geißler, der von der Notwendigkeit der "Besetzung der Begriffe" in der Politik zu erfahrungsgetränkt zu sprechen wußte.

    (z.B. "Der Pazifisnmus der 30iger Jahre hat den Faschismus erst möglich gemacht").

    Nach der gewonnenen Bundestagswahl hat man gute Gründe zu der Hoffnung, mit solchen Methoden gut durchzukommen. Klappt doch - "wichtig ist, was hinten rauskommt" (Kohl).

  • S
    Shrike

    Kann schon sein, dass Linksextreme weniger schlimm eingestellt sind als Nazis.

    Aber soll das eine Ausrede sein ?

     

    Und dass man sich neben dem Rechtsextremismus auch mit Linksextremismus und Islamismus beschäftigt, ist durchaus sinnvoll.

     

    Das scheint einigen Linken nicht zu gefallen, schließlich sehen sich viele von ihnen immer noch als die "Guten", die Linksextremen übertreiben bei der Wahl der Mittel zwar etwas, aber das ist ja halb so schlimm.

     

    Die Statistiken zeigen jedenfalls, dass man sich auch um andere kümmern sollte, nicht nur -aber auch- um die Faschos.

     

    Andererseits sind die Mittel gegen Extremismus nicht unbegrenzt, damit meine ich weniger die Geldmittel, sondern die Möglichkeiten allgemein.

     

    Bei Linken,Rechten und Fundamentalisten findet man fanatische Gruppen, die man nicht einfach so von ihren Ansichten abbringen kann.

    Zudem herrscht auch theoretisch Meinungsfreiheit.

     

    Sicherlich sollte man Hilfen zum Ausstieg aus gewalttätigen Fanatikergruppen anbieten.

    Und Aufklärungsarbeit ist auch sinnvoll.

     

    Aber all dies wird diese Phönomene nicht beseitigen, nur verringern.

     

    Es wird wohl immer sektenhafte Gruppen geben, einige ideologisch, andere religiös geprägt.

     

    Das heisst, es gibt offenbar zahlreiche Menschen, die sich von der Mitte der Gesellschaft abwenden und ein Leben bei dem suchen, was die sogenannten Extremisten anzubieten haben.

     

    Man sollte sich also auch fragen, was dieser Gesellschaft offenbar fehlt, was Menschen bei den Extremisten zu finden glauben.

  • S
    sümphatisant

    Was sind eigentlich "Rechte"?

     

    Die einen wollen bloß national denken und national wählen und ab und zu mal am Stammtisch auf die Regierung oder die Linken schimpfen und ansonsten ihre Ruhe haben.

     

    Dann gibt es noch welche, die wollen ein- oder zweimal die Woche SA spielen. In den Zeiten dazwischen aber wollen sie in einer modernen offenen Gesellschaft leben, wo man vernünftig und anständig miteinander umgeht. Die haben meiner Meinung nach ein allgemeines Verhaltensproblem, das sich mit dem rechten Mäntelchen eben besonders zweckmäßig kombinieren läßt. Es ist sozusagen die erstbeste Wahl, sich radikal rechts zu geben, wenn man mit aggressiven Bedürfnissen herumläuft. Auch der Staat zeigt ja dafür am ehesten Verständnis. Im günstigsten Fall spendiert er sogar eine Lehrstelle. Ich halte das nicht für ein politisches Phänomen.

     

    Jedenfalls ist mir noch keiner begegnet, der lieber in einem neuen Dritten Reich leben möchte. Jedenfalls keiner, der unter 60 ist und noch alle Tassen im Schrank hat.

     

    Der einzigen Altnazi von echtem Schrot und Korn, den ich näher kenne, der hat eine Promotion in leninistisch-marxistischer Soziologie und geht seit der Wende jeden zweiten Sonntag in die Kirche. Aber das Horst-Wessel-Lied wird auf Geburtstagen und anderen Familienfeiern schon seit Jahren nicht mehr gesungen. Und der findet es trotzdem gut, daß man heute so tolerant ist, und ihm auf seine alten Tage eine Pension zukommen läßt, die jeden normalen Facharbeiter der DDR die Schamröte ins Gesicht treiben würde. Und ich wette, nicht einmal der verspürt so etwas wie Sehnsucht nach Militarismus, Parteidisziplin und Befehlston im zivilen Leben.

     

    Ich nehme mal an, der findet unsere Gesellschaft heute gar nicht schlecht. Würde er natürlich nie zugeben. Das wirft natürlich ein Licht auf diese ganze Szene.

  • G
    gelegentlich

    Was will man von dieser Familienministerin auch Anderes erwarten? Sie hat bisher versucht die Wähler der Neuen Rechten für die CDU zu gewinnen, sich offenkundig bei öffentlichen Veranstaltungen mit der NPD gut verstanden (auch wenn einer ihrer counterparts jetzt wegen Körperverletzung verurteilt worden ist) und sich ihre Promotion zuarbeiten lassen (danke, Süddeutsche Zeitung). Solange unsere Medien der Mitte Geschmeiß wie die ,,Achse des Guten" und ,,Politcally Incorrect" hoffähig halten werden unsere Hassprediger eine nette, junge und dynamische Schirmmutter in ihr haben.

  • GM
    Gerald Mueller

    Na, in Mathe damals nicht aufgepasst? Parallelen beruehren sich doch, naemlich im Unendlichen...

     

    Von daher unterstuetzen Sie also doch klammheimlich die Familienministerin

  • H
    hto

    Der WETTBEWERB, um das "Recht des Stärkeren" der "freiheitlichen" Marktwirtschaft in gebildeter Suppenkaspermentalität zu "Wer soll das bezahlen?", ist nicht nur URSACHE aller Probleme unseres "Zusammenlebens" wie ein Krebsgeschwür, er ist RASSISMUS-PUR, für eine gepflegte Welt- und "Werteordnung" in Neurosen und Psychosen / in gleichermaßen MANIPULIERBARER Bewußtseinsschwäche von Angst, Gewalt und "Individualbewußtsein" auf Sündenbocksuche.

  • F
    flanders

    Wer aufgrund seiner (in der eigenen Gedankenwelt natürlich unumstößlich richtigen) Überzeugung direkte Gewalt gegen Mitmenschen ausübt, ist ein gefählicher Extremist. Wenn ich Messer in den Bauch/einen Baseballschläger oder Stein an den Kopf kriege, ist mir der noble Zweck ganz egal.

  • S
    skate_hobbit

    In anderen Zeitungen worden die Vorgänge in Hamburg eindeutig linken Gruppen zugeschrieben, hier in einer rechten Brühe mit verrührt. Was ist nun wahr?

    Wenn jetzt wissenschaftlich langsam klar, dass der Kampf gegen rechts eigentlich eine Phantomjagd ist, muss jetzt sofort ein neuer rechter Gegner her (diesmal in der sagenumwobenen Mitte der Gesellschaft) um den Kampf (und Steuermittel) zu rechtfertigen?

  • P
    parallelen

    bemerkenswert, wie in letzter zeit schreiberlinge geometrisches grundwissen wiederentdecken ... wenn parallelen dich genug nebeneinander verlaufen, ist das nicht-berühren irrelevant.

     

    ob mir ein intoleranter, antisemitischer linker den schädel einschlägt oder ein intoleranter, antisemitischer rechter ist egal -- beiden geht es nur um gewalt, durchsetzung ihrer ideen und ausrottung andersdenkender.