Kommentar Unterbindungsgewahrsam: Falsche Priorität
Das Verwaltungsgericht Hannover ignoriert mit seinem Urteil im Prozess um den arrestierten Fußballfan den Europäischen Gerichtshof - im Interesse der Polizei.
E s geht nicht um Richterschelte. Natürlich sollte jedes Verwaltungsgericht in seinen Urteilen frei sein und sich nicht an Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts gebunden fühlen. Sonst würde sich an antiquierter Rechtsprechung nichts ändern. Doch in dem hannöverschen Fall ist mit Pragmatismus im Interesse der Polizei gerichtet und an Vorschriften festgehalten worden. Sicher ist es Aufgabe der Polizei, maskierte und bewaffnete Personen, die vor einer Bank stehen, festzunehmen, bevor sie Geisel nehmen. Im konkreten Fall geht es aber um präventive Eingriffe in Grundrechte auf der Basis von Spekulationen.
Denn nach der Logik des Gerichts müsste die Polizei auf dem Hamburger Kiez jede Gruppe grölender und besoffener Männer in den Unterbringungsgewahrsam nehmen, weil von ihnen Straftaten wie sexuelle Nötigung, Sachbeschädigung, Körperverletzung bis hin zu Vergewaltigung ausgehen könnten. Wer sich auf eine Demonstration begibt oder ein Fußballspiel besucht, ist aber nicht gleich ein potenzieller Straftäter.
Und der Menschenrechts-Gerichtshof ist kein Laber-Club. Er hat die Menschenrechte in Europa zu wahren. Sein Urteil hat Gewicht, wie sich bei den Themen Antidiskriminierung und Sicherungsverwahrung gezeigt hat. Wenn ein Staat europäische Menschenrechts-Grundsätze nicht ernst nimmt, weil sie die eigenen Polizeigesetze infrage stellen, begibt er sich auf das Niveau einer Bananenrepublik.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen