Kommentar Umbau „Berliner Zeitung“: Unwürdig und respektlos
Der Verlag DuMont sorgt nun dafür, dass Boulevard- und Qualitätsinhalte in Berlin bald aus einer Hand kommen. Die Probleme sind hausgemacht.
S ie dachten mal sehr groß am Berliner Alexanderplatz. Eine „deutsche Washington Post“ wollte der frühere Spiegel-Chefredakteur Erich Böhme als Herausgeber der Berliner Zeitung Anfang der neunziger Jahre aus dem Blatt machen.. Das war natürlich viel zu groß.
Aber in der Tat war die Berliner Zeitung damals auf dem besten Weg dahin, die führende Hauptstadtzeitung zu werden. Im Gegensatz zur Morgenpost und zum Tagesspiegel schaffte es die Zeitung auch rüber in jenen Teil von Berlin, der sie vor der Wende nicht gelesen hatte – in den Westen.
Das ist längst vorbei. Die Washington Post liegt heute in den Händen von Amazon-Chef Jeff Bezos, die Berliner Zeitung wird es künftig nicht mehr so geben wie bisher. Das liegt auch daran, dass der Verlag DuMont, zu dem die Berliner Zeitung seit 2010 gehört, die Entwicklungen der letzten Jahre ignoriert hat. Nun legt er die Redaktion zusammen mit dem Boulevardblatt Berliner Kurier. Boulevard- und Qualitätsinhalte kommen künftig aus einer Hand. Wie das funktionieren soll, ist unklar.
Niemand kann bestreiten, dass in der Redaktion der Berliner Zeitung etwas passieren muss. Von den 216.600 Exemplaren, die Ende 1996 täglich verkauft wurden, gehen heute noch knapp 96.700 weg. Online spielt sie so gut wie keine Rolle, die Strukturen in dem Haus sind starr. Aber das ist nicht neu: Seit Jahren schon drängt die Redaktion den Verlag zu einer neuen Onlinestrategie – und wurde lange ignoriert.
Jetzt gründet der Verlag eine neue Firma, auf deren Jobs sich die altgedienten Mitarbeiter neu bewerben müssen. Journalisten, die teils seit Jahrzehnten in der Redaktion arbeiten, müssen nun hoffen, von ihrer alten Zeitung wieder eingestellt zu werden. Mindestens 50 Leute werden keine Stelle bekommen – und das in einer Zeit, in der die Jobs für Journalisten, selbst für sehr erfahrene, rar sind.
Das ist unwürdig und respektlos gegenüber den Kollegen. Der Verlag hätte das verhindern können, wenn er früher umgebaut hätte. Die Berliner Zeitung ist nicht die einzige, die mit sinkenden Auflagen und der Konkurrenz im Internet kämpft. Andere haben schon lange ihre Onlineredaktionen aufgestockt, arbeiten multimedial, experimentieren mit Video und sozialen Medien, kurz: denken großen Journalismus online. Das hat die Berliner Zeitung verpasst.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!