Kommentar US-europäischer Datenaustausch: Der gläserne Atlantik
Die USA haben in der Terrorbekämpfung längst jeden rechtsstaatlich tolerablen Boden verlassen. Die EU geht in Sachen Datenaustausch mit den USA diesen Weg nun auch.
Reiner Metzger ist stellvertretender Chefredakteur der taz.
Beim Datenaustausch mit den USA in Sachen Terroristenbekämpfung folgt die EU dem deutschen Vorbild. Sie liegt dabei völlig falsch. Denn was das Bundesinnenministerium mit den US-Behörden ausgehandelt hat, ist datenschutzrechtlich ein Desaster.
Im März wurde der deutsch-amerikanische Vertrag unterzeichnet. Er lässt praktisch alle wichtigen Fragen offen. Wann dürfen Fakten über Verdächtige übermittelt werden? Bei Tatsachen, "die die Annahme rechtfertigen", terroristische Straftaten oder solche, die damit zusammenhängen, würden vorbereitet. Das kann alles Mögliche sein. Im EU-Regelwerk ist zudem, wie schon im deutschen Vertrag, ein Passus enthalten, der die Weitergabe von Details zu ethnischer Herkunft, Gewerkschaftsmitgliedschaft, Sexualleben und politischen Überzeugungen ermöglicht. Das ist leider kein Witz.
Für solche Angaben seien "extrem hohe Hürden" eingebaut, behauptet der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Dieter Wiefelspütz. Doch im Abkommen ist nur davon die Rede, dass die Daten "besonders relevant" sein müssten - dafür dürfte jedem halbwegs ausgeschlafenen FBI-Beamten eine Vielzahl von Begründungen einfallen. Zudem heißt es im Papier lapidar, dass im abfragenden Land "geeignete Schutzmaßnahmen" gegen Missbrauch existieren müssten: Dieser Gummisatz wurde mit Absicht eingefügt. Außerdem ist völlig unklar, welche Stellen in den USA auf die ganzen Daten zugreifen dürfen.
Befürworter wenden ein, der Datenaustausch mit den USA laufe doch seit den Anschlägen vom 11. September 2001 ohnehin - nur bislang völlig ungeregelt. Das ist ein lächerlicher Einwand. Vielmehr ist es längst Zeit, diesen Missstand zu beenden, denn die USA haben in der Terrorbekämpfung längst jeden rechtsstaatlich tolerablen Boden verlassen. So hat die US-amerikanische "Union für Bürgerfreiheiten" ACLU Regierungsquellen ausgewertet und entdeckt, dass über eine Million Menschen in der US-Terroristendatenbank aufgelistet sind - und jeden Monat kommen 20.000 dazu. Zu den berühmtesten Einträgen dort zählt der Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela. Aber für unsere Bundesregierung scheint das so in Ordnung zu sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!