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Kommentar US-Häftlinge nach DeutschlandNüchterner Blick auf Guantánamo

Bettina Gaus
Kommentar von Bettina Gaus

Deutschland hat die moralische Verpflichtung, Häftlinge aus dem US- Gefangenenlager aufzunehmen. Zu sentimentaler Verklärung besteht allerdings kein Anlass.

Bild: taz

Bettina Gaus ist Buchautorin und politische Korrespondentin der taz.

Ein sentimentaler Ton hat sich in die Diskussion über die mögliche Aufnahme von Insassen des US-Gefangenenlagers Guantánamo in Deutschland eingeschlichen. Zahlreiche Äußerungen erwecken den Eindruck, es handele sich bei den Häftlingen sämtlich um Unschuldige, die ohne eigenes Zutun in die Mühlen eines feindseligen Apparats geraten seien. Davon kann keine Rede sein. Und darum geht es auch gar nicht.

Gegen einige der Gefangenen sollen schwer wiegende Indizien vorliegen, denen zufolge sie an Verbrechen beteiligt waren. Das Pentagon gibt darüber hinaus an, dass 61 ehemalige Guantánamo-Häftlinge nach ihrer Freilassung terroristisch aktiv geworden seien. In 18 Fällen lägen entsprechende Beweise vor, sagte ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums. In 43 weiteren Fällen deuteten Geheimdienstinformationen darauf hin.

Man macht es sich zu leicht, wenn man derlei Beschuldigungen als bloße Schutzbehauptungen von Leuten abtut, die Menschenrechtsverletzungen geduldet oder sogar selbst begangen haben. Manchmal finden sogar Geheimdienste etwas heraus. Es gibt sehr gute Gründe dafür, dass Geständnisse, die unter Folter abgepresst wurden, in Rechtsstaaten vor Gericht nicht verwendet werden dürfen. Was jemand unter Schmerzen herausschreit, muss nicht wahr sein. Aber der Umkehrschluss ist ebenfalls nicht zulässig: Gefoltert worden zu sein ist noch kein Unschuldsbeweis.

Es ist außerdem durchaus vorstellbar, dass bislang Unschuldige infolge des in Guantánamo erlittenen Unrechts nun Rachegedanken gegen die USA und deren Verbündete hegen und demnächst zu Schuldigen werden, also Gewalttaten verüben. Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten ist diese Überlegung jedoch nur eines: bedeutungslos. In einem Rechtsstaat gibt es nun mal nur zweierlei: Unschuld oder juristisch eindeutig nachgewiesene Schuld.

Knapp 10 Prozent der 245 Häftlinge, die gegenwärtig noch in Guantánamo einsitzen, stellen die Behörden offenbar vor große Probleme. Sie gelten als hochgefährlich, sollen also nicht freigelassen werden. Rechtskräftig verurteilt werden können sie aber auch nicht - sei es, weil ihre Geständnisse durch Folter erpresst worden sind, sei es, weil in einem Prozess geheime Informationen enthüllt werden müssten.

Das ist Pech. Wer derlei vermeiden will, der darf eben nicht foltern oder sich auf Quellen stützen, die nicht benutzt werden können. Das hört sich einfacher an, als es ist? Nein. Um mit Erich Kästner zu sprechen: Das ist einfacher, als es sich anhört.

Wenn einem gerichtsbekannten Jugendlichen nicht nachgewiesen werden kann, dass er derjenige war, der einer alten Dame die Handtasche entriss, dann muss er freigelassen werden. Dasselbe gilt analog für jemanden, dem unterstellt wird, einer terroristischen Organisation anzugehören. Das Gebot der Unschuldsvermutung ist universal. Wie jedes andere Menschenrecht auch.

Niemand muss die eigene Unschuld beweisen. Schuld ist es, die nachgewiesen werden muss. Rechtsstaat bedeutet deshalb stets: Manche Taten bleiben ungesühnt. Rechtsstaat bedeutet auch: Seine Bevölkerung muss mit einem Sicherheitsrisiko leben.

Eine Gesellschaft, die sich dafür entschieden hat, die Menschenwürde für unantastbar zu erklären, erklärt sich damit zugleich dazu bereit, den Preis dafür zu bezahlen. Er kann darin bestehen, dass Opfer von Gewalttaten zu beklagen sind, die in einem Überwachungsstaat nicht gestorben wären. Das ist ein hoher Preis. Der Lohn für diese Entscheidung ist allerdings ebenfalls hoch. Er besteht in individueller Rechtssicherheit.

Es ist verlogen, wenn der SPD-Abgeordnete Sebastian Edathy nun erklärt, man müsse "tatsächlich objektiv unschuldigen" Personen ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in einem EU-Mitgliedstaat eröffnen. Oder wenn der Grünen-Politiker Jürgen Trittin sagt, die Schließung von Guantánamo dürfe sich nicht dadurch verzögern, "dass kein Land bereit ist, die vom US-Militär als unschuldig eingestuften Gefangenen aufzunehmen". Oder wenn die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger die Bundesregierung auffordert, sich einer "Einzelfallprüfung" zu öffnen. Oder wenn die Linkspartei eine humanitäre Geste durch die Aufnahme "unschuldiger Häftlinge" verlangt.

All diese Stellungnahmen gehen am harten Kern des Problems vorbei. Niemand hat etwas dagegen, verfolgter Unschuld zu helfen. Die zentrale Frage aber lautet: Was geschieht mit den Guantánamo-Häftlingen, die nicht zweifelsfrei unschuldig sind und weder in den USA bleiben sollen noch in ihre Heimatländer zurückkehren können?

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble sagt, er kenne keinen Grund, warum jemand von einem EU-Staat aufgenommen werden solle, der "zu gefährlich für Amerika" sei. Der CDU-Politiker behauptet, die "Verantwortung für diejenigen, die jahrelang in Guantánamo festgehalten wurden", liege bei den Vereinigten Staaten von Amerika.

Anders ausgedrückt: Was geht uns das alles an? Viel geht uns das an. Die Bundesrepublik hat den USA alle gewünschten Überflug- und Landerechte gewährt - auch im Rahmen des sogenannten Kampfes gegen den Terrorismus. Es gibt Hinweise darauf, dass Gefangene der Vereinigten Staaten auf dem Weg über Deutschland zu ihrem Bestimmungsort verbracht wurden. Der SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier hat offenbar persönlich daran mitgewirkt, dass der gebürtige Bremer Murat Kurnaz länger in Guantánamo inhaftiert blieb, als die USA das wünschten. Ja, Guantánamo geht uns sehr viel an.

Wahr ist: Es gibt für die Bundesrepublik keinen juristisch gebotenen Zwang, Häftlinge aufzunehmen. Aber es gibt eine politisch-moralische Verpflichtung, die sich aus dem transatlantischen Bündnis ergibt. Unter Hinweis auf Bündnispflichten haben wir bekanntlich schon ganz andere Dinge getan. Beispielsweise deutsche Fregatten als Geleitschutz für US-Kriegsschiffe vor und während des Irakkrieges losgeschickt, an dem wir uns - angeblich - nicht beteiligten. Ohne dass der Bundestag dem vorab zugestimmt oder nachträglich dagegen protestiert hätte. Angeblich deshalb, weil das transatlantische Bündnis so eng ist.

Wenn das stimmt, dann können und dürfen wir uns nicht ausgerechnet dann vor den Folgen dieses engen Bündnisses drücken, wenn es um die Wahrung von Menschenrechten geht. Die Verklärung von Guantánamo-Häftlingen hilft allerdings niemandem. Denn wenn es tatsächlich einmal zu einem Anschlag unter Beteiligung ehemaliger Gefangener kommen sollte, dann wird die gegenwärtig überaus hohe Zustimmungsrate für Barack Obama ohnehin dramatisch abstürzen. Dazu sollten jedoch nicht ausgerechnet diejenigen einen Beitrag leisten, die jahrelang und zu Recht gegen Menschrechtsverletzungen und Willkür protestiert haben.

BETTINA GAUS

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Bettina Gaus
Politische Korrespondentin
Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).

4 Kommentare

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  • N
    Nicklas

    Solange der Link noch heiß ist:

    http://www.mdr.de/fakt/6100021.html

    Wir sind schon längst ein Drehkreuz des "Terrors" !

    Joa, nicht nur die Flüge nach Guantanamo gingen/gehen über Deutschland, auch die anderen ...

    Aber die waren "Terroristen" sind diejenigen, die das nicht gut heißen, protestieren und anprangern.

    Diese Menschen, die eine eigene Meinung haben, die sind das "Problem" unserer "gewählten" Politiker (Wahl: Volk wählt Partei -> Partei sucht sich ihre Politiker aus -> Politiker regieren Volk als vom Volk "gewählte" ... die Parteien suchen sich "unsere" Vertreter aus und das sind diejenigen, die in der Partei die Macht haben), sie könnten andere dazu bringen ihre Meinung zu teilen und wenn das viele machen ... Hubschrauber und Kampfflugzeugeinsatz, wie zum G8 Gipfel ...

    Ist das nicht schön, wenn mal so richtig Durchregiert wird, den Querulanten/Ruhestörern so richtig "Feuer" unterm Hintern gemacht wird ?

  • N
    Nicklas

    @Amos

     

    nun, du hast zweifelsohne recht, 1989 liegt ihnen noch schwer im Magen ...

    Dieser Volksaufstand soll sich nicht wiederholen, deswegen muss die Bildung reduziert werden, denn ein gebildeter Arbeiter ist aufmüpfig und stellt Ansprüche !

    Ja aber wir müssen auch verstehen, das die Milliarden Pfründe gesichert werden müssen !

    Stell dir mal vor, es würde jemand Fragen stellen und Antworten haben wollen, wieso Konzerne Billiglöhner (z.B. Hartz IV Aufstocker, die werden vom dummen Steuerzahler bezahlt) beschäftigen und sich die Sozialabgaben sparen dürfen, obwohl sie Milliarden an Gewinne machen ...

    Stell dir mal vor was passieren würde, so die Leute das mitbekommen ?

     

    Tja, da muss dann die Bundeswehr ran und muss bereit stehen, für den Frieden im Land !

     

    Aber "die" müssen keine Sorgen machen, ich mein' solange die Bildung niedrig gehalten wird und den Fehler einen "gebildeten Arbeiter" haben zu wollen, wie die DDR-Führung vor '89, werden unsere Herren und Damen an der Macht nicht wiederholen und lassen die Schulen zerfallen wie Kartenhäuser !

     

    Bildung ist halt eine gefährliche Sache und vor allem was gefählich ist, hat unser Wolfgang Angst ...

  • N
    Nicklas

    Schäuble und seine Terroristen, menno !

    Als Jugendliche (12-15 Jahre) haben wir Sprengkörper gebaut, die sehr zuverlässig "arbeiteten", auf Schwarzpulver (um den 31.Dezember gibbet Tonnen davon zu kaufen) und Gas (Feuerzeuggas zum Nachfüllen + Pressluft) Basis.

    Soviel zur Bildung ohne Internet damals und dem Bildungsnotstand mit Internet von heute.

    Fällt auf, nicht ?

    Vor mehr als 20 Jahren waren wir bessere "Terroristen", als die "studierten" Terrorzellen von heute !

     

    Nun zum Thema, wäre ich 4 Jahre unschuldig eingesperrt und evtl. zuvor für eine Prämie verkauft worden, wie dieser Mann hier http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/1698436_0_2147_guant-namo-haeftling-fuer-ein-paar-dollar-verraten-und-verkauft.html , dann wäre ich sauer, mächtig Sauer !

    Was würde ich also tun ? Ich würde mir die Verantwortlichen schnappen und ... den Rest können Sie sich denken, ich würde ihnen JEDE Minute meiner Haft zu Teil werden lassen wollen !

     

    Nun zu Schäuble, der fand doch Guantanamo gut gegen Terroristen und die dort ergriffenen Maßnahmen richtig !

    Ich mag den Paranoiden W.S. ja auch nicht, aber er hat recht, Guantanamo haben sich die Amerikaner selbst geschaffen !

    Sie sollten sich bei den Unschuldigen entschuldigen (als ob das reicht, ich weiß) und entweder wieder nach Af-/Pakistan "entlassen" bzw. in die USA einbürgern, aber nicht diese etwas (verständlicher Weise) Zornigen Menschen nach Deutschland verfrachten wollen, nur damit "wir" endlich mal "Terrorverdächtige" haben, die das Innenministerium überwachen lassen kann und wenn die mal zu Sylvester einen Knaller loslassen sollten, dann werden diese Leute gleich wieder der Planung von Anschlägen bezichtigt !

     

    So, Leute soviel zur Realität, wieder "Gut" machen kann man das Angetane nicht, vergessen werden sie es nicht !

    Man kann nur versuchen, ihnen ein würdiges "Restleben" zu ermöglichen und das ist hier in Deutschland bei den Paranoiden Innenministern und BKA-Trollos schlicht nicht möglich !

  • A
    Amos

    Man will eine Bundeswehr im Inneren zur Bekämpfung

    des Terrorismus. Dazu braucht

    man einen Grund. Und was wäre da gründlicher, als

    ehemalige Guantanamo-Häftlinge aufzunehmen. Denn mit

    einer Bundeswehr zur Unterstützung der Polizei, hat

    man zugleich auch das aufmuckende Volk unter Kontrolle, dem man ja immer mehr abnimmt. Wenn die

    Inhaftierung von Unschuldigen gegen die Menschenrechte verstößt, dann verstehe ich nicht

    warum die Deutsche Regierung nicht dagegen protestiert hat, als sie einen Grund dazu hatte.