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Kommentar Türkische ParlamentswahlErdogans Traum von der Macht

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Erdogan hätte die Macht, einen Kompromissfrieden in der Türkei durchzusetzen. Es wäre ein historischer Verdienst. Doch er will nur mehr Macht und ein Präsidialsystem.

Macht korrumpiert, und absolute Macht korrumpiert absolut." Diese Erkenntnis des britischen Historikers Baron Acton aus dem 19. Jahrhundert wird derzeit in der Türkei wieder einmal aufs Neue bestätigt.

Kein türkischer Ministerpräsident seit der Einführung der parlamentarischen Demokratie 1949 war so mächtig wie Recep Tayyip Erdogan derzeit. Erdogan beherrscht seine Partei, er hat im Parlament eine absolute Mehrheit, seine Gefolgsleute kontrollieren nahezu jede Schaltstelle der Macht, und das einstmals mächtige türkische Militär ist von Erdogan erfolgreich domestiziert worden.

Erdogan schickt sich nun an, mit einem wahrscheinlich erneuten hohen Wahlsieg Anfang Juni seine dritte Amtsperiode als Ministerpräsident anzutreten. Wenn die Legende vom "guten König" jemals etwas mit der Realität zu tun hatte, könnte er nach der Wahl beginnen, die drängendsten Probleme des Landes zu lösen.

Bild: taz

JÜRGEN GOTTSCHLICH ist Türkei-Korrespondent der taz.

Ernsthaften Widerstand hat er nicht mehr zu erwarten, niemand könnte ihn daran hindern, endlich eine tragfähige Lösung für den seit 30 Jahre alten Konflikt mit der kurdischen Minderheit zu suchen. Mehr als 40.000 Tote hat der Bürgerkrieg bereits gekostet, Verschleppungen, illegale Hinrichtungen, Folter und Zensur haben eine demokratische Entwicklung des Landes jahrelang verhindert.

Erdogan hätte die Macht, einen Kompromissfrieden in der Gesellschaft durchzusetzen. Es wäre ein historischer Verdienst, darin sind sich alle einig. Doch Erdogan will etwas anderes: Er will noch mehr Macht. Die Türkei soll in ein Präsidialsystem umgewandelt werden, selbstverständlich mit ihm als Präsidenten.

Für die Verfassungsänderung braucht er die Stimmen der Ultranationalisten, und deshalb lässt er nun auf die Kurden einschlagen. Die vermutlich letzte Chance, eine erneute Eskalation des Krieges zu verhindern, wird so Erdogans Machtträumen geopfert.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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3 Kommentare

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  • D
    Droid

    Die Lösung des Kurdenproblems in der Türkei liegt nicht in der Hand eines Politikers. Erdogan hat versucht dieses Problem zu lösen. Aber ist auf heftigen Widerstand von allen Seiten gestoßen... Und um ehrlich zu sein, war er nicht bereit mehr zu riskieren. Denn bei diesem Problem muss man als Politiker Popularitätsverlust riskieren können.

     

    Kein anderer Politiker als Erdogan würde dieses Problem am liebsten augenblicklich lösen, denn auch kein anderer lässt sich an seinem Erfolgen so charismatisch sonnen wie er. Er weiß seine Erfolge gut zu vermarkten, und so ein Erfolg würde ihm den Legenendenstatus nach Atatürk bringen, worin er schon jetzt auf dem besten Wege in der Türkei ist.

  • U
    Ultraviolett

    Zu denken Erdogan hatte gute Absichten grenzt an Debilität.

    Die Realität beweist etwas anderes. Seit 8 Jahren. Und die Vorgäner Parteien der AKP waren von 1980 bis 1999 durchgehend an der Macht.

    Jeder der sich die Strukturen der Partei anschaut merkt das. Also sollte man nicht sagen die AKP wäre was anderes als die Regierungen von 1980 bis 1999.

  • WH
    walter helbling

    Die jüngsten Vorgaenge der letzten um die rechtsnationale MHP widerlegen diese These aber gründlich. Absolute Macht ja, aber ohne MHP, diese droht an der 10% Hürde zu scheitern und damit erreicht die AKP die gewünschte Mehrheit.