Kommentar Tschechien: Wahlschlappe wegen Arroganz
Die Bürger hatten erwartet, dass die mit hauchdünner Mehrheit regierenden Konservativen den Konsens suchen. Doch sie benahmen sich wie Eroberer - und wurden abgestraft.
Z um Symbol ihrer EU-Ratspräsidentschaft hat die tschechische Regierung den Würfelzucker auserkoren. Mit dem wolle man Europa das Regieren versüßen, so der dazugehörige Slogan. Erst mal die Suppe versalzen haben die Wähler der Regierung und ihrem Ministerpräsidenten Mirek Topolánek.
In den Kreiswahlen wurde Topolánek eine harsche Absage erteilt. Die Regierung hat in den zwei Jahren ihres Bestehens das bisschen Legitimität verspielt, das sie nach den Wahlen 2006 errungen hatte. Topoláneks Koalition besaß eine hauchdünne Mehrheit, die auf zwei Überläufern basierte. Ein sehr schwaches Mandat. Doch statt sich um einen gesellschaftlichen Konsens zu bemühen, benimmt sie sich wie eine Bande von Eroberern.
Die meisten Tschechen fühlen sich überfahren von einer Gesundheitsreform, die Gebühren einführt und die Krankenhäuser und soziale Einrichtungen zu Aktiengesellschaften privatisieren will. Der Regierung, deren Mitglieder sich ihrer Lobbyarbeit für Privatunternehmer nicht schämen, war die Angst des kleinen Mannes vor der Gesundheitsreform immer egal. Genauso wie die Tatsache, dass zwei Drittel der Bevölkerung gegen die Stationierung des US-Radars in Tschechien sind.
Dennoch hat die Regierung die Stationierung mit den USA vertraglich vereinbart. Jetzt wundert sie sich über den Denkzettel, den die Bevölkerung ihr verpasst hat. Selbst Topolánek, dessen Arroganz mit ein Grund dafür ist, dass die Wähler scharenweise zum Oppositionsführer Jirí Paroubek (genannt der "Bulldozer" und selbst nicht gerade ein Sympathieträger) übergelaufen sind, muss langsam einsehen, dass Politiker nicht die Bevölkerung abwählen können.
Für Topolánek ist die demnächst anstehende EU-Ratspräsidentschaft deshalb ein reiner Glücksfall. Hinter der kann sich die Regierung jetzt verstecken, anstatt sich ihrem Legitimitätsverlust zu stellen und zurückzutreten. Aber die Tschechen sind selbsternannte Meister im Improvisieren. Gerne rühmen sie sich ihrer "goldenen Händchen". Vielleicht wären ja die das ideale Symbol für die tschechische EU-Ratspräsidentschaft.
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