Kommentar: Toter und Gerücht: Täter und Opfer und Täter
Hier ist zunächst um Verzeihung zu bitten.
Hier soll ein Kommentar stehen. Doch: Zunächst ist um Verzeihung zu bitten. Verzeihung für die Vorverurteilung eines Mannes, der nicht als Täter, sondern als Opfer einer Straftat bekannt wurde. Yusuf A.F. wurde am letzten Februarwochende nahe dem RAW-Gelände erstochen. Obwohl die Polizei keine Anhaltspunkte dafür sah, dauerte es keine zwei Tage, bis Medien ihn, den Schwarzen, zum Drogendealer erklärten: in der gestrigen Ausgabe tatsächlich auch die taz – ohne irgendwelche Belege.
Ich möchte Yusufs Familie, seine Freunde und UnterstützerInnen dafür um Verzeihung bitten und ihnen mein Beileid für den Verlust ihres Sohnes, Bruders, Onkels, Freundes sowie für den durch diese Berichterstattung zusätzlich erlittenen Kummer aussprechen.
Seine Angehörigen hatten den 46-Jährigen teils seit Jahren nicht gesehen. Nun wird er, der Geflüchtete, auf der Suche nach einem sicheren Aufenthalt und einem wenigstens halbwegs guten Leben, ihnen tot und als vermeintlicher Dealer zurückgegeben. Das ist kaum zu ertragen.
Fakt ist: Die Polizei hat bislang keinen Hinweis darauf, dass das Opfer gedealt hat. Und hätte Yusuf, der verzweifelte, obdachlose Flüchtling, tatsächlich Drogen verkauft: Welche Rolle würde das für seinen Fall spielen?
Ja, er hätte sich dadurch selbst in Gefahr, in ein gefährliches Milieu begeben: Wie jeder Dealerkunde auch. Doch was soll das heißen? Dass Opfer dann irgendwie „selbst schuld“ und Tötungsdelikte in dem Fall nicht so schlimm sind?
Die Frage muss lauten: Wäre das Gerücht über den Toten so schnell aufgetaucht und so leichtfertig übernommen worden, wäre er weiß gewesen? Andersherum: Würde ich im Görlitzer Park stolpern und mir ein Bein brechen, wäre das dann ein Beinbruch im Drogenmilieu? Oder nur dann, wenn ich schwarz wäre? Justitia ist blind. Und hat hier auch gar nicht über den Toten Recht zu sprechen, sondern über die, die ihn getötet haben. Er ist Opfer von Gewalt. Wer sind die Gewalttäter?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands