Kommentar Terrorgefahr: Der Kern der Terrorfrage
Wie demokratisch bleibt ein Land nach einem islamistischen Anschlag mit vielen toten Zivilisten? Die deutsche Gesellschaft wird hoffentlich hierauf so schnell keine Antwort geben müssen.
M erkwürdig. Wer am Wochenende die Pressekonferenz der Bundesanwaltschaft und des Bundeskriminalamts zu den drei festgenommenen Terrorverdächtigen im Fernsehen verfolgen wollte, hatte Pech. Weder das öffentlich-rechtliche Fernsehen noch die Privaten hielten es für nötig, live zu übertragen, was die Ermittler über die "Düsseldorfer Zelle" zu berichten hatten, deren Mitglieder einen Anschlag in Deutschland geplant haben sollen - und dafür direkt von einem hochrangigen Al-Qaida-Mann im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet den Auftrag bekommen haben sollen.
Das gab es noch nie in der Geschichte Deutschlands. In den USA hätte es Sondersendungen auf CNN gegeben. Im deutschen Fernsehen gab es am Samstag stundenlange Wiederholungen der royalen Hochzeit vom Vortag.
Man kann das positiv sehen: Deutschland wird nicht hysterisch, wenn die Terrorgefahr real wird. Man bleibt cool, kümmert sich um William und Kate und den Meistertitel des BVB Dortmund. Die Festnahme von drei mutmaßlichen Terroristen nimmt man zur Kenntnis, ist ja noch mal gut gegangen.
Das Problem ist nur: Würde es auch so bleiben, wenn Fanatiker einmal damit durchkämen, in Deutschland einen Anschlag auf U-Bahnen zu verüben wie in Madrid 2004 oder London 2005. Wären dann auch noch alle cool? Das darf zumindest bezweifelt werden.
WOLF SCHMIDT ist Redakteur im taz-Inlandsressort.
Auf Expertentagungen ist hier gern von einem "game changer" die Rede: ein Ereignis, das alles ändert, wie es die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA getan haben. Ein Ereignis, das den Hardlinern in der Politik Auftrieb verschafft und Bürgerrechtler und Datenschützer ins Abseits drängt.
Ein Ereignis, das wie das Attentat auf Theo van Gogh in den Niederlanden 2004 die Rechtspopulisten nach oben spült und breite Teile der Bevölkerung den Islam mit dem Islamismus gleichsetzen lässt.
Auf Expertentagungen zum Thema Terrorismus fällt oft noch ein anderer Begriff: Man müsse die "Resilienz" von Gesellschaften stärken. Damit ist die Fähigkeit gemeint, nach einem schrecklichen Ereignis wieder zum normalen Leben zurückzukehren und sich nicht verrückt machen zu lassen.
Es geht im Kern um die Frage: Wie demokratisch bleibt ein Land nach einem islamistischen Anschlag mit vielen toten Zivilisten? Hoffentlich wird die deutsche Gesellschaft hierauf nicht so schnell eine Antwort geben müssen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Telefonat mit Putin
Falsche Nummer
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS