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Kommentar TarifeinigungVerdi stützt die kleinen Leute

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Die ArbeitnehmerInnen sind immer noch in der Defensive: Die Tarifeinigung bedeutet zwar mehr Geld - aber gegen die Preissteigerung doch eher wenig. Und mehr Arbeit.

W er wissen will, wie es um die finanzielle Situation breiter Einkommensschichten in Deutschland bestellt ist, der muss sich die Tarifeinigung anschauen, die heute beschlossen wurde. Es gibt deutlich mehr Geld für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Gegen die Preissteigerungen nimmt sich die Erhöhung eher bescheiden aus. Zudem können die ArbeitnehmerInnen bei Bund und Kommunen ihre Kaufkraft nur steigern, in dem sie etwas länger ackern. Die ArbeitnehmerInnen sind immer noch in der Defensive. Trotzdem hat Verdi mit dem Abschluss ein Zeichen gesetzt. D Niedrigverdienenden.

Barbara Dribbusch ist Redakteurin für Sozialpolitik im Inlandsressort der taz.

Hochgerechnet gut fünf Prozent mehr gibt es in diesem Jahr. Im nächsten Jahr erhalten die Beschäftigten nochmal 2,8 Prozent mehr. Das hört sich gut an, doch wenn die Inflationsrate allein in diesem Jahr auf über 2,5 Prozent klettert, frisst sie die Hälfte der Erhöhungen auf. Zudem werden die Arbeitszeiten auf 39 Wochenstunden verlängert. Jede halbe Stunde mehr Dienstzeit ergibt aber rechnerisch 1,2 Prozent weniger Stundenlohn. Und doch ist der Abschluss zu begrüßen. Die Aufteilung der Entgeltsteigerungen in Sockelbeträge, die den unteren Einkommensgruppen verhältnismäßig hohe Lohnzuwächse bescheren, geben ihm eine soziale Komponente. Die unterste Entgeltgruppe erhält dadurch in diesem Jahr rechnerisch 7,1 Prozent mehr Lohn.

Die Gewerkschaft Verdi geht bei dieser Binnendifferenzierung den umgekehrten Weg wie etwa die an Bedeutung gewachsenen Berufsgewerkschaften der Ärzte und Lokführer. Diese Berufsverbände handeln je nach logistischer und gesellschaftlicher Position ihrer Klientel vergleichsweise hohe Abschlüsse heraus.

Verdi hingegen stützt in den Tarifabschlüssen mit Sockelbeträgen die "kleinen Leute" und macht sich zu deren Anwalt. Das ist nicht nur eine kluge Antwort auf die Debatte um den Mindestlohn. Auch für die Mitgliedergewinnung einer Massengewerkschaft ist es die richtige Politik. Die Frage ist allerdings: Wer sind die "kleinen Leute?". Die Beamten etwa, so hört man, fühlen sich derzeit wieder benachteiligt. Sie arbeiten heute schon zwischen 40 und 42 Stunden.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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4 Kommentare

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  • A
    Anton

    Allein seit 1998/1999 wurden in den deutschen Krankenhäusern 48.000 Pflegepersonalstellen abgebaut.Fachkräftemangel? Gibt es in der Pflege nicht wirklich; alles selbst erzeugt und gewollt.Was zugenommen hat in den Pflegeeinrichtungen ist eine ungeheure Arbeitsverdichtung für die verbleibenden Mitarbeiterinnen.

  • M
    malso

    Genau, immer her mit den privaten. Die sind super "billig", flexibel und sowieso falls man noch sagen darf "Geiz ist Geil", also 3-2-1 mein Job für ein Appel und ein Ei. Leider aber auch die mit den schlechten Gehältern und oft können sich deren Arbeiter noch "Stütze" vom Staat holen (schön "billig" sollen die sein).

    Wahrscheinlich gehören Sie aber auch zu den Leuten die später schreien "Früher war alles sauberer". Der Ausverkauf der Städte und Gemeinden sollte ein Ende haben den die privaten möchten sowieso nur die "Sahnestücke" und den "Tortenboden" darf die öffentliche Hand also der Steuerzahler zahlen. Zum Glück gibt es aber Mittlerweile ein Umdenken! Weg mit den Privaten Billig- Modern- Sklaven- Firmen her mit den angemessen bezahlten und dafür motivierten Beschäftigten.

  • AZ
    anke zoeckel

    Die öffentlichen Arbeitgeber sollten diesen Tarif-

    vertrag dadurch beantworten, dass sie ihr Gehirn einschalten. Selbst im öffentlichen Dienst ist bloße Ignoranz nämlich auch keine Lösung.

     

    Es mag ja manch einem sehr verlockend erscheinen, eines schönen Tages gar nicht mehr verwaltet zu werden, aber erstens sind im öffentlichen Dienst nicht nur Aktenberge erklimmende Sachbearbeiter beschäftigt, und zweitens wünschen sich sogar Männer wie Wolfgang Stein im Grunde ihres Herzens zweierlei: eine funktionieremnde Volkswirtschaft nämlich und außerdem jemanden, der ihnen im modernen Dschungel das alltägliche Zusammenleben mit egoistischen und/oder verwirrten Mitmenschen erleichtert.

     

    Ich weiß ja: Es ist ein Scheißjob. Aber irgendwer wird ihn auch morgen noch machen müssen - und zwar freiwillig.

  • WS
    wolfgang stein

    Die öffentlichen Arbeitgeber sollten diesen Tarif-

    vertrag durch Stellenabbau und weiteren Privati-

    sierungen beantworten.