Kommentar Tarifbindung in der EU: Billig gewinnt

Nachdem sich bereits die Regierung in der Mindestlohnfrage zerstritten hat, behindert nun auch noch der EuGH leistungsgerechte Löhne.

Firmenchefs, die ihre Leute für Billiglöhne schuften lassen, haben derzeit allen Grund zur Freude: Beim Mindestlohn verzetteln sich SPD und CDU in einem parteitaktischen Kleinkrieg, bei dem die Beteiligten das Ziel - existenzsichernde Löhne für alle - scheinbar völlig vergessen. Und jetzt hat der Europäische Gerichtshof auch noch das niedersächsische Landesvergabegesetz gekippt. Auf Anhieb klingt die Entscheidung nach Provinz und Bürokratie, doch die Folgen werden viele Menschen zu spüren bekommen.

In Zukunft dürfen Länder ihre Aufträge für Gebäude und Bauarbeiten nicht mehr an die Einhaltung von örtlichen Tariflöhnen koppeln. Vielmehr können sie Firmen nur noch Mindestlöhne abverlangen, die den EU-Regeln zur Entsendung von Arbeitnehmern entsprechen; alle anderen Tarife haben sie zu ignorieren. Das heißt: Billig gewinnt - mehr noch, als es bisher bei Ausschreibungen der Fall war. In Deutschland nutzen derzeit mehrere Länder die Vorteile von eigenen Vergabegesetzen. Sie bezahlen lieber etwas mehr Geld, sichern dafür aber Jobs, schützen Arbeiter und verhindern gleichzeitig, dass Billigfirmen Konkurrenten verdrängen. All dies zählt bei Ausschreibungen im Baugewerbe in Zukunft weniger, denn die EU raubt dem Staat ein wirksames Instrument, Auswüchse einzudämmen. Mehr noch: Auch wenn die Auslegung des Urteils heftig diskutiert werden wird, könnte es eine dramatische Entwicklung entfalten, weil es nach Einschätzung von Arbeitsmarktexperten auch für andere Wirtschaftszweige gilt.

Hier kommt wieder die heillos zerstrittene Koalition ins Spiel. Acht Niedriglohnbranchen interessieren sich in Deutschland für einen Mindestlohn per Entsendegesetz. Darunter solche wie das Wachschutzgewerbe, das von der öffentlichen Hand munter beauftragt wird. Die Union muss sich nach dem EU-Urteil eines klarmachen: Entweder sie gibt ihre Hinhaltetaktik bei Mindestlöhnen auf. Oder sie ist dafür verantwortlich, dass auch in Zukunft Wachschützer für Hungerlöhne vor Ministerien und Landtagen patrouillieren - im Auftrag des Staates. ULRICH SCHULTE

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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