Kommentar Syrien: Krieg gegen die Cyber-Revolution
Die Repressionen gegen Netzaktivisten sind in Syrien ungleich härter als sie es in Ägypten oder Tunesien waren. Der Geheimdienst hat sich dem digitalen Zeitalter angepasst.
W ährend die ägyptische und die tunesische Revolution von Internetaktivisten mitgeprägt wurden, sind verlässliche Informationen im syrischen Internet Mangelware. Zwar gibt es engagierte Webnutzer, die mittlerweile aus dem libanesischen oder ägyptischen Exil bloggen und ihre Informationen über Skype oder E-Mails bekommen, doch sind viele dieser Websites in Syrien gesperrt.
Wer in Syrien in einem der Internetcafés surfen will, muss seinen Personalausweis kopieren lassen und wird so zum Objekt staatlicher Überwachung. Auch oder gerade wer über einen privaten Internetzugang verfügt, überlegt sich mehrfach, ob er über vermeintlich sichere Proxy-Server (wenn er denn einen Zugang hat) verbotene Seiten mit revolutionärem Inhalt aufrufen will, denn die Überwachungsmaschinerie der zum Teil noch in der DDR ausgebildeten Geheimdienstler funktioniert auch im digitalen Zeitalter hervorragend. In Syrien merkt man es daran, dass zuvor sicher geglaubte Server einfach abgestellt werden, was oft und über Nacht passiert.
Die Facebook-Seiten der Aktivisten aus verschiedenen konfessionellen Gruppen sind noch die sichersten aufrufbaren Seiten, doch sind die Informationen sektiererisch geprägt und mit Vorsicht zu genießen. Aus einer Demonstration mit 1.500 Teilnehmern wird im Netz schnell eine mit 15.000.
Die syrischen Sicherheitskräfte setzen nicht nur darauf, Schreiber verbotener Blogs, sondern auch deren Angehörige zu verhaften und zu foltern, so lange, bis die Aufenthaltsorte oder die Passwörter derjenigen, die die verbotenen Seiten betrieben oder aufriefen, bekannt gegeben werden. Daher vertrauen viele Syrer dem allgemein zugänglichen ausländischen Satellitenfernsehen - die immer noch legal empfangbaren Sendungen von al-Dschasira, al-Arabia, CNN, BBC oder dem englischsprachigen Kanal von France 24 geben einen umfassenden Überblick über die Geschehnisse, die Kommentare der bekannten und vertrauenswürdigen Oppositionellen im Exil und die immer größer werdende Anzahl der Opfer.
Die Cyber-Revolution in Syrien kann somit zwar nicht als niedergeschlagen betrachtet werden. Ihre Aktivistinnen und Aktivisten werden aber vom Regime in Damaskus in einem ganz anderen Ausmaß als in Ägypten oder Tunesien verfolgt.
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